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Über mir der Himmel - Nelson, J: Über mir der Himmel

Über mir der Himmel - Nelson, J: Über mir der Himmel

Titel: Über mir der Himmel - Nelson, J: Über mir der Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jandy Nelson
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seine Predigten auf Marktplätzen halten müssen, weil er sogar die größten Kirchen zum Überlaufen brachte. Als er starb, fingen die Kirchenglocken in Padua von selbst an zu läuten. Alle dachten, die Engel wären auf die Erde gekommen.
    »Tschüss, Leute«, sage ich zu Grama und Big und geh zur Tür.
    »Viel Spaß, Len … und bleib nicht zu lange, okay?«
    Ich nicke und mache mich auf zu dem ersten echten Date meines Lebens. Die anderen Abende, die ich mit Jungs verbracht habe, zählen nicht, die mit Toby auch nicht. Ich versuche angestrengt, nicht daran zu denken, und erst recht nicht an die Partys, nach denen ich Tage, Wochen, Monate und Jahre überlegt habe, auf welche Weise ich meine Küsse zurückbekommen könnte. Nichts ist je so gewesen wie dies
hier, noch nie hatte ich so ein Gefühl wie jetzt, als ich diesen Hügel zu Joe hochgehe. Es kommt mir vor, als hätte ich ein Fenster in der Brust, durch das Sonnenlicht hereinströmen kann.

18. Kapitel
    DAS GEFÜHL, das ich heute schon mit Joe im Allerheiligsten hatte, überfällt mich wieder, als ich ihn mit seiner Gitarre auf der Treppe des großen weißen Hauses sitzen sehe. Über das Instrument gebeugt singt er leise und der Wind trägt seine Worte durch die Luft wie wehende Blätter.
    »Hey, John Lennon«, sagt er, legt die Gitarre weg und springt von der Vortreppe. »Oha. Du siehst vachement fantastisch aus. Zu gut, um den ganzen Abend allein mit mir zu sein.«

    (Gefunden auf der WC-Wand neben dem Musiksaal der Clover High)

    Er hüpft praktisch heran. Sein Entzückensquotient fasziniert mich. In der Menschenfabrik muss irgendjemand was verbockt und ihm mehr reingefüllt haben als uns anderen. »Ich hab mir Gedanken über ein Duett gemacht, das wir spielen könnten. Ich muss nur etwas neu arrangieren -«
    Ich hör nicht mehr zu. Hoffentlich redet er sich so richtig in Fahrt, ich krieg nämlich kein Wort raus. Der Ausdruck die Liebe erblühte ist metaphorisch, klar, aber in meinem Herzen geht gerade eine ganz krasse Blume im Zeitraffer auf, von der Knospe bis zur wahnsinnig leuchtenden vollen Blüte in knapp zehn Sekunden.
    »Alles klar?«, fragt er. Seine Hände liegen links und rechts auf meinen Armen und er schaut mir prüfend ins Gesicht.
    »Ja.« Ich wüsste wirklich gern, wie Leute in derartigen Situationen atmen. »Mir geht’s toll.«
    »Du bist toll «, sagt er und mustert mich wie ein absoluter Volltrottel, was mich umgehend aus meiner Verzauberung reißt.
    »Uah, quel Trottel «, sage ich und schubse ihn weg.
    Er lacht und legt mir den Arm um die Schultern. »Komm, du betrittst Maison Fontaine auf eigenes Risiko.«
    An Maison Fontaine fällt mir als Erstes auf, dass das Telefon klingelt und Joe das anscheinend gar nicht bemerkt. Ich höre eine Mädchenstimme auf einem Anrufbeantworter weit weg in einem anderen Zimmer und finde einen Moment, sie klingt wie Rachel, bis ich beschließe, dass es doch nicht so ist. Als Zweites fällt mir auf, dass dieses Haus das absolute Gegenteil von Maison Walker ist. Unser Haus sieht aus, als würden dort Hobbits leben. Die Decken sind niedrig,
das Holz ist dunkel und knorrig, überall farbenfrohe Flickenteppiche auf den Böden, Bilder an den Wänden, Joes Haus dagegen schwebt hoch oben mit den Wolken am Himmel. Überall sind Fenster, hinter denen sonnenverbrannte Felder im Wind schwimmen, dunkle, den Fluss umschließende grüne Wälder und der Fluss selbst, der sich in der Ferne von Stadt zu Stadt windet. Es gibt keine Tische, auf denen sich die Post von Wochen stapelt, keine unter die Möbel gekickten Schuhe, keine aufgeschlagenen Bücher auf jeder horizontalen Fläche. Joe lebt in einem Museum. An allen Wänden hängen wunderbare Gitarren in allen Farben, Formen und Größen. Sie wirken so lebendig, als könnten sie von allein Musik machen.
    »Ganz schön cool, was? Mein Dad macht hinreißende Instrumente. Nicht nur Gitarren. Mandolinen, Lauten, Hackbretter«, sagt er, während mein Blick von einem Instrument zum nächsten wandert.
    Und nun Szenenwechsel: Joes Zimmer. Die physische Manifestation der Chaostheorie. Es quillt über von Instrumenten, die ich noch nie gesehen habe – ich kann mir nicht einmal vorstellen, welche Töne sie von sich geben -, CDs, Musikzeitschriften, Bibliotheksbücher auf Französisch und Englisch, Konzertplakate von französischen Bands, von denen ich noch nie gehört habe, Comics, Notizbücher mit der winzigen, kantigen Schrift eines abgedrehten Jungen darin, Noten, Sachen für

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