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Über mir der Himmel - Nelson, J: Über mir der Himmel

Über mir der Himmel - Nelson, J: Über mir der Himmel

Titel: Über mir der Himmel - Nelson, J: Über mir der Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jandy Nelson
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die Stereoanlage, lose und angeschlossen, die ich nicht identifizieren kann, alte Gummitiere, Schalen mit blauen Murmeln, Kartenspiele, kniehohe Kleiderhaufen – Teller, Flaschen, Gläser
will ich gar nicht erwähnen … und über dem Schreibtisch ein kleines Poster von John Lennon.
    »Hm«, mache ich und zeige auf das Poster. Ich lass alles auf mich wirken. »Mir scheint, dein Zimmer gewährt mir neue Einblicke in Joe Fontaine alias der ausgeflippte Irre.«
    »Ja, ich hielt es für das Beste, dir das Bombodrom erst zu zeigen, wenn …«
    »Wenn was?«
    »Ich weiß nicht, erst wenn dir klar geworden ist …«
    »Wenn mir was klar geworden ist?«
    »Ich weiß nicht, Lennie.« Es ist ihm peinlich. Irgendwie ist die Sache ungemütlich geworden.
    »Sag’s mir«, sage ich. »Worauf wolltest du warten?«
    »Ach, nichts, ist blöd.« Er guckt auf seine Füße, dann wieder hoch zu mir. Plink. Plink. Plink.
    »Ich will’s wissen«, sage ich.
    »Okay, dann sag ich’s: warten, bis dir klar geworden ist, dass du mich vielleicht auch magst.«
    Wieder blüht die Blume in meiner Brust auf, dieses Mal in drei Sekunden von der Knospe bis zum Finale.
    »Das tu ich«, sage ich, und ohne nachzudenken, füge ich hinzu: »Sehr.« Was ist bloß in mich gefahren? Jetzt kann ich wirklich nicht mehr atmen. Ein Zustand, der sich noch durch die Lippen verschlimmert, die plötzlich auf meine drücken.
    Unsere Zungen haben sich schwer ineinander verliebt, sind die Ehe eingegangen und nach Paris gezogen.
    Nachdem ich sicher bin, all die ungeküssten Jahre wettgemacht zu haben, sage ich: »Wenn wir nicht mit dem Küssen aufhören, explodiert die Erde, glaub ich.«

    »Scheint so«, flüstert er. Verträumt starrt er mir in die Augen. Heathcliff und Cathy können uns nicht das Wasser reichen. »Eine Weile könnten wir uns vielleicht auf andere Weise beschäftigen«, sagt er. »Wenn du willst …« Er lächelt. Und dann: Plink. Plink. Plink. Ob ich diesen Abend überlebe?
    »Willst du spielen?«, fragt er.
    »Will ich«, sage ich. »Aber ich hab mein Instrument nicht mitgebracht.«
    »Ich hol dir eins.« Er geht aus dem Zimmer, was mir die Gelegenheit verschafft, mich zu erholen und leider auch darüber nachzudenken, was vorhin mit Toby passiert ist. Wie erschreckend und unbeherrscht das heute war, als ob wir einander zerbrechen wollten. Aber warum? Um Bailey zu finden? Um sie dem anderen aus dem Herzen zu reißen? Dem Körper? Oder war es etwas Schlimmeres? Wollten wir sie vergessen, die Erinnerung für einen Augenblick voller Leidenschaft auslöschen? Aber nein, das ist es nicht, das kann nicht sein, oder? Wenn wir zusammen sind, umgibt Bailey uns wie die Luft, die wir atmen, das ist ein Trost gewesen bis heute, bis es so entgleist ist. Keine Ahnung. Ich weiß nur, dass es ausschließlich um sie geht, denn sogar, wenn ich jetzt an Toby allein mit seinem Schmerz denke, während ich meinen eigenen bei Joe auslösche, fühle ich mich schuldig, als hätte ich Toby im Stich gelassen und mit ihm meinen Kummer und mit meinem Kummer meine Schwester.
    Wieder klingelt das Telefon, das reißt mich gnädigerweise aus meinen Gedanken und nach einer Bruchlandung bin
ich wieder zurück im Bombodrom, diesem Zimmer, in dem Joe in seinem ungemachten Bett schläft und die Bücher liest, die überall verstreut liegen, und anscheinend aus allen diesen fünfhundert halb vollen Gläsern auf einmal trinkt. Mir ist ganz schwindelig von der Intimität, hier zu sein, wo er denkt und träumt, wo er seine Klamotten wechselt und wirklich überallhin pfeffert, wo er nackt ist. Joe, nackt . Der Gedanke an ihn, so total – oh. Noch nie hab ich einen echten Typen live ganz nackt gesehen. Nur Pornos im Internet, die Sarah und ich uns eine Zeit lang reingezogen haben. Das ist alles. Ich hab immer Angst gehabt, alles zu sehen, ihn zu sehen. Sarah sagt, als sie das erste Mal einen steif gesehen hat, kamen ihr mehr Tiernamen aus dem Mund als in ihrem ganzen bisherigen Leben zusammen. Und keine Tiere, an die man gleich denken würde. Keine Pythons und Aale. Sie behauptet, es war eine ganze Menagerie: Nilpferde, Elefanten, Orang-Utans, Tapire, Gazellen usw.
    Plötzlich vermisse ich sie so, dass es mich wie ein Schlag trifft. Wie kann ich denn bloß in Joe Fontaines verdammtem Zimmer sein, ohne dass sie es weiß? Wie hab ich sie so verjagen können? Ich hole mein Handy heraus, simse: Pfeif den Suchtrupp zurück. Bitte. Verzeih.
    Wieder schau ich mich um, unterdrücke jeden Impuls, die

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