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Über mir der Himmel - Nelson, J: Über mir der Himmel

Über mir der Himmel - Nelson, J: Über mir der Himmel

Titel: Über mir der Himmel - Nelson, J: Über mir der Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jandy Nelson
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ehrlich.«
    »Ich werd es wunderbar finden, wenn du da all deine Klamotten ausziehst, ehrlich, oder wenigstens ein paar, vielleicht ja nur eine Socke.« Er kommt zu mir, lässt sein Horn fallen und schwenkt mich herum, sodass wir uns gegenüberstehen.
    »Du bist ziemlich verklemmt, weißt du. Das macht mich verrückt.«
    »Kann nichts dafür. Ich bin Halbfranzose, joie de vivre und so. Aber ernsthaft, ich hab dich noch nie in einer Art unbekleidetem Zustand gesehen, und seit unserem ersten Kuss sind drei ganze Tage vergangen. Quel catastrophe , nicht?« Er streicht mir das windzerzauste Haar aus dem Gesicht, dann küsst er mich, bis mir das Herz aus meiner Brust springt wie ein wildes Pferd. »Obwohl ich ein ziemlich gutes Vorstellungsvermögen habe …«
    » Quel Trottel «, sage ich und ziehe ihn weiter.
    »Weißt du, ich benehm mich nur wie ein Trottel, damit du sagst quel Trottel .«
    Der Pfad steigt zu dem Ort an, wo die alten Mammutbäume in den Himmel ragen und den Wald zu ihrem Dom machen. Der Wind hat sich gelegt und der Wald ist überirdisch still und friedvoll geworden. Blätter flimmern um uns herum wie winzige Lichtfragmente.
    »Und was ist mit deiner Mutter?«, fragt Joe ganz plötzlich.
    »Was?« Nichts liegt mir gerade ferner als Gedanken an meine Mutter.
    »Als ich zum ersten Mal bei euch war, hat Grama gesagt,
sie würde das Porträt zu Ende malen, wenn deine Mutter zurückkommt. Wo ist sie?«
    »Das weiß ich nicht.« Normalerweise belasse ich es dabei und fülle die Lücken nicht, aber bis jetzt ist er ja auch nicht vor all unseren anderen Familienmacken davongerannt. »Ich hab meine Mutter nie gekannt«, sage ich. »Nun ja, wir sind uns schon begegnet, aber als sie wegging, war ich ein Jahr alt. Sie hat ein ruheloses Wesen, ich glaub, das liegt in der Familie.«
    Er geht nicht weiter. »Das ist es? Ist das die Erklärung? Dafür, dass sie weggegangen ist? Und nie wiedergekommen ist? «
    Ja, es ist bekloppt, aber diese Walker-Beklopptheit hat mir immer eingeleuchtet.
    »Grama sagt, sie kommt zurück«, sage ich. Bei dem Gedanken, sie könne jetzt zurückkommen, krampft sich mein Magen zusammen. Ich denke an Bailey, die sich so sehr bemüht hat, sie zu finden. Denke daran, ihr die Tür vor der Nase zuzuknallen, wenn sie zurückkommt, zu schreien: Du kommst zu spät. Denke, dass ich nicht recht weiß, wie ich all das noch glauben soll ohne Bailey, die es mit mir glaubt. »Gramas Tante Sylvie hatte es auch«, ergänze ich und fühle mich schwachsinnig. »Sie ist nach zwanzig Jahren Abwesenheit wiedergekommen.«
    »Wow«, sagt Joe. Noch nie habe ich seine Stirn so kraus gesehen.
    »Hör mal, ich kenne meine Mutter nicht, deshalb vermisse ich sie auch nicht oder so …«, sage ich, aber es kommt mir vor, als würde ich eher mich überzeugen wollen als Joe.
»Sie ist diese furchtlose, ungebundene Frau, die losgezogen ist, um ganz allein den gesamten Globus abzuklappern. Sie ist geheimnisvoll. Das ist cool.« Es ist cool? Gott, was bin ich nur für ein Depp. Aber wann hat sich das alles geändert? Denn es ist immer cool gewesen, supercool sogar, sie war unser Magellan, unser Marco Polo, eine der eigenwilligen Walkerfrauen, die von ihrem ruhelosen, unbegrenzten Geist von Ort zu Ort, von Liebe zu Liebe, von Augenblick zu unvorhersehbarem Augenblick getrieben wird.
    Joe lächelt, er guckt mich mit so viel Wärme an, dass ich alles andere vergesse.
    »Du bist cool«, sagt er. »Du kannst verzeihen. Ganz anders als ich Schwachkopf.« Verzeihen? Ich nehme seine Hand und denke über seine Reaktion und meine eigene nach. Bin ich cool, kann ich verzeihen oder mache ich mir nur was vor? Und wie ist das mit dem Schwachkopf Joe? Wer ist das? Der Joe, der nie wieder mit dieser Geigerin geredet hat? Wenn ja, dann will ich diesen Typen nie kennenlernen, nie im Leben. Schweigend gehen wir weiter, beide segeln wir noch für ungefähr eine Meile durch den Himmel unserer Gedanken und dann sind wir da und alle Gedanken an ihn als Schwachkopf und meine geheimnisvolle verschwundene Mutter sind weg.
    »Okay. Mach die Augen zu«, sage ich. »Ich führe dich.« Ich halte ihm von hinten die Augen zu und lotse ihn den Pfad hinunter.
    »Okay, Augen auf.«
    Da steht ein Schlafzimmer. Ein ganzes Schlafzimmer mitten im Wald.

    »Wow. Wo ist Schneewittchen?«, fragt Joe.
    »Das bin ich dann wohl«, sage ich und hechte auf das weiche Bett. Das ist wie in eine Wolke springen. Er folgt mir.
    »Du bist zu wach, um sie zu sein, darüber

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