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Über mir der Himmel - Nelson, J: Über mir der Himmel

Über mir der Himmel - Nelson, J: Über mir der Himmel

Titel: Über mir der Himmel - Nelson, J: Über mir der Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jandy Nelson
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Pseudonyme erfunden, die sie gewählt haben könnte, und auch nach denen haben wir erfolglos gesucht, aber nie so, nie systematisch, nie mit einer derartigen Gründlichkeit und Hartnäckigkeit. Das Heft ist praktisch voll. Bailey muss jede freie Minute darauf verwendet haben, jeden Moment, den ich nicht da war, denn ich hab sie so selten am Computer gesehen. Aber wenn ich jetzt darüber nachdenke, dann hab ich sie, bevor sie starb, schrecklich oft vor der Halbmutter gesehen, die sie so aufmerksam betrachtete, als würde sie auf ein Wort von ihr warten.
    Ich blättere zur ersten Seite des Heftes. Sie ist vom 27. Februar, nicht ganz zwei Monate vor ihrem Tod. Wie hatte sie all das in dieser Zeit schaffen können? Kein Wunder, dass sie die Hilfe des heiligen Antonius gebraucht hat. Ich wünschte, sie hätte um meine gebeten.
    Ich lege das Heft zurück in die Schublade, gehe zu meinem Bett, dann hole ich die Klarinette wieder aus dem Kasten und spiele Joes Lied. Ich möchte wieder in diesem Sommertag sein, ich möchte da mit meiner Schwester sein.

    (Gefunden auf der Rückseite des Titelblatts von Sturmhöhe in Lennies Zimmer)

23. Kapitel

    (Gefunden auf einem Stück Zeitungspapier unter der Veranda der Walkers)
    ALS ICH AM NÄCHSTEN Morgen in die Küche komme, steht Grama am Herd und brät Würstchen, ihre Schultern sind zusammengezogen wie eine krause Stirn. Big hängt am Tisch über seinem Kaffee. Hinter ihnen hüllt der Morgennebel das Fenster ein, als schwebte das Haus in einer Wolke.
In der Tür überkommt mich dasselbe ängstliche, hohle Gefühl, das mich immer packt, wenn ich verlassene Häuser sehe, solche, in denen Unkraut durch die Treppe wuchert, deren Anstrich rissig und schmutzig ist und die kaputte und mit Brettern vernagelte Fenster haben.
    »Wo ist Joe?«, fragt Big. Da wird mir klar, warum die Verzweiflung so nackt ist heute Morgen: Joe ist nicht hier.
    »Im Gefängnis«, sage ich.
    Big schaut auf und schmunzelt. »Was hat er gemacht?« Sofort hebt sich die Stimmung. Wow. Ich vermute mal, er ist nicht nur mein Rettungsfloß.
    »Hat seinem Vater eine Vierhundert-Dollar-Flasche Wein weggenommen und sie an einem Abend mit einem Mädchen namens John Lennon getrunken.«
    Grama und Big schnappen gleichzeitig nach Luft und rufen dann: »Vierhundert Dollar?!«
    »Er hatte keinen Schimmer.«
    »Lennie, es gefällt mir nicht, dass du trinkst.« Grama droht mir mit dem Pfannenheber. Die Würstchen brutzeln und spritzen hinter ihr in der Pfanne.
    »Ich trinke nicht, nun ja, kaum. Keine Sorge.«
    »Verdammt noch mal, Len? War er gut?« Bigs Gesicht ist eine Studie in Staunen.
    »Weiß nicht. Ich hab noch nie Rotwein getrunken, glaub schon.« Ich schenke mir eine Tasse Kaffee so dünn wie Tee ein. Ich hab mich an den Schlamm gewöhnt, den Joe macht.
    »Verdammt noch mal«, wiederholt Big, nimmt einen Schluck Kaffee und verzieht angewidert das Gesicht. Ich
glaub, ihm schmeckt Joes Pampe jetzt auch besser. »Vermutlich wirst du auch nie wieder welchen trinken, wenn die Latte so hoch liegt.«
    Ob Joe heute wohl zur ersten Orchesterprobe kommt, überlege ich gerade – ich hab beschlossen hinzugehen -, da kommt er plötzlich zur Tür herein mit Croissants und toten Käfern für Big und einem Lächeln so groß wie Gott für mich.
    »Hey!«, sage ich.
    »Sie haben dich rausgelassen«, sagt Big. »Ist ja großartig. Ist das ein ehelicher Besuch oder ist deine Strafe abgesessen?«
    »Big!«, schimpft Grama. »Bitte!«
    Joe lacht. »Ist erledigt. Mein Vater ist ein romantischer Mann, das ist wohl seine beste und schlimmste Eigenschaft. Als ich ihm erklärt hab, wie ich fühle -« Joe sieht mich an, fängt an rot anzulaufen, was mich natürlich dazu veranlasst, zur Tomate zu mutieren. Das kann doch nur gegen die Regeln verstoßen, so zu fühlen, wenn die Schwester tot ist!
    Grama schüttelt den Kopf. »Wer hätte gedacht, dass Lennie so eine Romantikerin ist?«
    »Das soll wohl ein Witz sein?«, ruft Joe. »Hat sie sich denn nicht schon ein wenig dadurch verraten, dass sie dreiundzwanzig Mal Sturmhöhe gelesen hat?« Ich gucke zu Boden. Es macht mich verlegen, wie sehr mich das berührt. Er kennt mich . Irgendwie besser als sie.
    » Touché , Mr Fontaine«, sagt Grama und versteckt ihr Lächeln, indem sie sich wieder zum Herd umdreht.
    Joe kommt von hinten und schlingt mir seine Arme um die Taille. Ich schließe die Augen, denke an seinen Körper,
nackt unter seinen Kleidern, der sich an mich drückt, nackt unter meinen

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