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Über Morgen

Titel: Über Morgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douglas Rushko; Ray Hammond; Scarlett Thomas; Markus Heitz
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und ich sehe ihn kurz an. Wieder ein Blick, dann noch einer, und ohne irgendetwas gesagt oder getan zu haben, wird mir klar, dass wir jetzt ein Wettrennen veranstalten. Ist das fair? Keine Ahnung. Zwei gegen einen ist nicht fair. Aber die beiden müssen gegen die Strömung und gegen den Wind antreten. Ich habe nur den Wind gegen mich. Ich erhöhe mein Tempo. Meinen leicht ramponierten alten iPod Shuffle habe ich so programmiert, dass er die Songs passend zu meiner Schrittlänge auswählt. Jetzt nimmt er Blur. Mein Stresslevel nimmt etwas zu und ich spüre, dass mein Herzschlag schneller wird. Eigentlich lächerlich, wenn ich versuche, ein Wettrennen gegen ein Boot zulaufen, das von zwei Männern gerudert wird. Und vielleicht ist es ja auch gar kein Wettrennen. Vielleicht habe ich die Blicke falsch verstanden. Kann es nicht sein, dass hier einfach nur eine Joggerin und ein Boot im dunkler werdenden Abend unterwegs sind, und einer von beiden dann zuerst am Pier ankommt, und weiter nichts?

    Ich will aber als Erste am Pier ankommen.
    Das kann man schaffen, wenn man nicht zu früh durchstartet. Wenn sie merken, dass ich mit ihnen um die Wette laufe, also so richtig um die Wette laufe, und dass ich die Führung übernommen habe, könnten sie zu sehr an Fahrt aufholen. Es ist besser, wenn sie denken, dass ich mich abmühe, um mit ihnen Schritt zu halten. Außerdem sollte das ein leichtes Lauftraining werden und ich wäre verrückt, würde ich mich auspowern. In weniger als einer Woche findet der Zwanzig-Kilometer-Lauf an der Uferpromenade statt, und ich reduziere gerade den Trainingsumfang, wie mein neues Buch mir rät. Trotzdem blicke ich immer wieder zu den Männern hinüber, wie sie auch immer wieder zu mir herübersehen, und dann beschleunigen sie und ich auch, um mit ihnen mitzuhalten, und dann lächelt der Typ mit den lockigen Haaren und sagt etwas zu seinem Freund und zeigt auf mich. Sie legen noch einen Zahn zu. Ich ziehe mit. Als der Pier noch etwa 200 Meter entfernt ist, hänge ich sie ab und lege einen Endspurt hin. Ich stelle fest, dass ich sie ein ordentliches Stück hinter mir zurückgelassen habe. Wahrscheinlich hatten sie sich doch nicht auf das Wettrennen eingelassen. Ich verlangsame mein Tempo, laufe weiter und tue so, als ob ich gerade nur einen kurzen Sprint oder etwas in der Art hingelegt hätte. Dann piepst mein GSRcx. Was, doch nicht schon jetzt ein weiterer Kilometer? Nein. Eine Nachricht. Du hast gewonnen. Lust auf eine Revanche irgendwann? Theo.

    Als ich nach Hause komme, sieht alles fast so aus wie immer, aber eben nur fast. Mum sitzt wie immer auf dem Hometrainer und isst Schmalzgebäck. Gab ist auf ihrer Tanzmatte, und Danny versucht seine Schaumstoffkugel durch ein Labyrinth zu dirigieren, das ich noch nie zuvor gesehen habe. Dad ist anscheinend gerade dabei, einen weiteren virtuellen Berg zu besteigen. Aber irgendetwasstimmt nicht. Zum einen hat heute keiner die Tapete ausgetauscht. Es ist immer noch dieselbe Nachmittagsstimmung am Mittelmeer, die wir schon gestern hatten. Und alle anderen Bildschirme sind ausgeschaltet. Nicht einmal die Familie Takahashi läuft bei irgendwem auf der Box, soweit ich das sehen kann. Das ist ziemlich komisch. Sogar ich möchte wissen, ob Aki Bunko abschleppen wird und ob Mrs. Takahashi ein weiteres Kilo abgenommen hat.
    „Hallo Liebes“, sagt meine Mutter. „Wo bist du gewesen.“
    Sie weiß, wo ich war. Sie nennt mich nie ‚Liebes’. Und sie hat jedes Wort genau gleich betont, wie ein altes Satellitennavigationssystem.
    Gab schaut zu einer Zimmerecke hoch und sagt: „Meine Schwester Agnes, die gerade von ihrem täglichen Lauftraining zurückkommt, mit dem sie buchstäblich NULL Energie für den Haushalt generiert.“
    Ich sehe Danny an. Seine Kugel hört auf zu schweben und fällt hinter eine rote Schaumstoffplatte.
    „Wir wurden angeklickt, so gegen zwei. Seitdem hatten wir fünfundzwanzig Aufrufe. Etwa zwanzig sind immer noch bei uns drin.“
    „Im Ernst? Sie sind jetzt noch bei uns drin?“
    Ich hole mein Handtuch und reibe mir damit das Gesicht ab.
    Gab sagt in die Zimmerecke: „Meine Schwester Agnes ist zweiunddreißig, aber sie wohnt immer noch zuhause. Das ist wirklich tragisch, meine Damen und Herren. Sie hatte genau EINEN Freund in ihrem GESAMTEN Leben, und nachdem er Schluss gemacht hat, hat sie beschlossen, niemals wieder zu lieben und deshalb verbringt sie jetzt ihre gesamte Freizeit ALLEIN, stampft über den Asphalt und baut ABSTOSSENDE

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