Über Morgen
Software-Persönlichkeit eine exakte Kopie von Billys Stimme verpasst.
„Das ist ja genau meine Stimme“, sagte Billy und blickte Sophie an.
„Wir haben eine Menge Aufnahmen gesampelt, um das hinzubekommen“, sagte die echte Sophie lachend, „aber ich glaube, Billy hat es schon drauf.“
„Ich hoffe, du findest es gut?“ fragte der virtuelle Billy im Innenohr des echten Billy.
Plötzlich wurden sie von einer gereizten Stimme unterbrochen. „Entschuldigt mal“, sagte die virtuelle Sophie. „Aber wollt ihr Billy mir eigentlich überhaupt nicht vorstellen?“
Mit einem amüsierten Blick stellten die beiden Menschen gleichzeitig ihre virtuellen Assistenten stumm. Billy nahm Sophie das Glas aus der Hand und setzte es zusammen mit dem seinen auf einem niedrigen Beistelltisch ab. Dann hob er Sophie hoch und steuerte, ohne ein Wort zusagen, zielbewusst auf das Schlafzimmer zu.
Paul, der registriert hatte, dass keine Menschen mehr im Zimmer waren, begann mit Bedacht, die Champagnergläser wegzuräumen.
„The Drop“
Aus dem Englischen von Alexandra Baisch
Scarlett Thomas
H eute Morgen lag mein biologisches Alter bei 28.
Es ist nach fünf, und ich jogge die Uferpromenade entlang. Zu meiner Linken tauchen die Vergnügungshallen blinkend auf, zu meiner Rechten das Meer, darüber Schlieren von pink- und graufarbenem Himmel. Ich halte ein gleich bleibendes Tempo von fünfeinhalb Minutenkilometern und laut meinem GSRcx stehe ich emotional kein bisschen unter Stress, was in Anbetracht der Tatsache, dass ich heute schon meinen Job wegen eines Salats hingeschmissen habe, an ein Wunder grenzt. Meine Herzfrequenz liegt wahrscheinlich bei circa 70 Schlägen pro Minute, doch das weiß ich nicht – ich achte nie darauf. Meine Herzfrequenz macht mich nur nervös. Ich will nur über mein Tempo, mein Stresslevel und die Strecke, die ich zurückgelegt habe, informiert werden. Auf die Anzeige der Luftqualität schaue ich auch nicht gern. Am Meer ist die Luft bestimmt gut, dazu kommen die ganzen Verbesserungen im Netz, und außerdem will ich mich nicht verrückt machen, sollte dem nicht so sein. Ich höre Portishead.
Der Ärmelkanal gleicht einer Badewanne voll Wasser, das herumschwappt, als wechselte sich eine ganze Familie ständig darin ab. Mein GSRcx informiert mich darüber, dass der Wind mit einer Geschwindigkeit von 50 Stundenkilometern aus Süd-Süd-Ost auffrischt und ich spüre, wie er mich vorantreibt, ich laufe schneller als fünfeinhalb Minutenkilometer. Auf der Straße, die am Kai entlangführt, fahren Autos vorbei. Alle Autos sind jetzt ebenfalls im Netz. Den Leuten scheint das zu gefallen. Es bedeutet, dass die meisten Autos in der Stadt im Moment blau sind. Das eine rote und die zwei grauen Autos sind gerade offensichtlich dabei, die Stadt zu verlassen. Ich frage mich, wo sie wohl hinfahren. Mein Bruder Danny sieht sich liebend gerne die beschleunigte Satellitenansichtder Autos mit ihren kaleidoskopischen Mustern im Netz an. Er würde sich das die ganze Zeit ansehen, müsste er nicht auch Mindflex III trainieren. Er sagt, man könne im Netz ganz besondere Dinge sehen, verrät aber nicht, was das für Dinge sind. Es ist tatsächlich auf seltsame Weise schön, trotzdem habe ich es mir nie sehr lange angesehen.
Ich komme am Ende des Kais an und mache kehrt. Sofort werde ich langsamer. Starker Gegenwind hat die gleichen Auswirkungen auf mein Tempo wie ein Berg, obwohl mir der Wind immer noch lieber ist. Das hängt vielleicht auch damit zusammen, dass ich es gewöhnt bin, auf Meeresspiegelhöhe zu leben. Ich bin nicht die Einzige, die kämpft. Auf dem Meer sitzen vier Männer in einem Rennboot mit dem Rücken zum Wind und rudern hart. Es sieht so aus, als würden nur zwei von ihnen die ganze Arbeit machen. Keine Ahnung, warum die beiden anderen nicht mitrudern. Ich habe die Regeln beim Rudern noch nie verstanden. Momentan ist Flut, sind sie also nahe genug, dass ich ihre Mimik gerade so erkennen kann. Ich weiß nicht, ob ich lächeln soll oder nicht, also sehe ich weg. Andere Läufer lächele ich für gewöhnlich an. Ich mache weiter. Das Boot auch. Die beiden Männer mühen sich immer noch ab. Ich sehe, wie einer der beiden mir wieder einen Blick zuwirft. Er hat dunkle Locken und trägt ein grünes Shirt. Ich laufe weiter.
Nach einem halben Kilometer fällt mir etwas auf. Ich bin etwa genau so schnell wie das Boot. Es ist immer noch auf gleicher Höhe. Der dunkelhaarige Mann wirft mir einen Blick zu,
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