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Ueberdog

Ueberdog

Titel: Ueberdog Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg-Uwe Albig
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Chuck und Zebra saßen auf den Holzstufen zum Gipfel; Chuck trug die Krone, die Paul ihm aus einem Stück Drahtgitter geformt hatte. Unablässig strömten Neugierige auf das Dach, schauten sich um und bestaunten die rotvioletten Wolkenschlieren, die sich vom auberginenfarbenen Fluss in den diesigen Himmel fächerten.
    Ich hatte beschlossen, mich schnell zu betrinken. Ich wollte nicht mehr beobachten. Ich wollte nicht mehr komponieren und choreographieren; ich wollte nicht mehr Gruppen und Paare in Konstellationen zwingen. Ich wollte mich treiben lassen, wohin die Party mich haben wollte, die Gang, das Schicksal.
    »Heute geht hier noch ganz was Besonderes«, sagte ich zu Schmiddel, der schon nickte, bevor ich fertiggesprochen hatte. »Ich hab so ein Gefühl.«
    Als ich geendet hatte, hörte sein Nicken auf.
    Eine Gruppe junger Leute quoll auf das Dach. Sie schleppten zwei Bierkästen, trugen Unterhemden und Hawaiishirts und bohrten in den Nasen. Die Mädchen, angetan mit Faltenröcken und Kassenbrillen, blähten Kaugummiblasen in die Abendluft. Eins der Mädchen wandte sich gleich an mich, ehrfurchtsvoll, doch mit vorsichtiger Distanz: »Gehörst du hier dazu.«
    Ich war froh, einen Anlass zum Grinsen zu haben. Natürlich gehörte ich hier dazu. Ich gehörte sogar so sehr dazu, dass es ohne mich diese Party nicht geben würde; dass ohne mich diese Party ein trüber Umtrunk unter der Brücke wäre. Und so sehr gehörte ich dazu, dass ich nichts davon sagte, sondern nur lässig und einnehmend grinste und mit den Schultern zuckte.
    Ich hob die Hand und mischte mich unter die Leute. Sie warfenTabletten ein und zündeten Knallkörper; von Zeit zu Zeit sah ich das Sprühen einer Lunte, hörte ein überdrehtes Kichern, dann eine fröhliche kleine Explosion. Betty trank bereits mit vollem Einsatz. Zork flüsterte etwas in Pauls Ohr, einen Fluch oder eine Offenbarung; dann rieb er ihm die Schultern, massierte ihm seine Botschaft in die Haut. Das Ergebnis klopfte er mit ein paar herzlichen Hieben fest.
    Chuck hatte Zebra verlassen und lief hinter einer Frau her. Sie sah wie eine Stewardess aus in ihrem De-La-Ferro-Kostüm, das sie mit einem grobmaschigen weißen Strickschal verhüllt hatte. Sie drehte sich um und strahlte ihn an. Chuck senkte die Hände in die Taschen und pfiff ihr sein Lied vor, von der ersten bis zur letzten Strophe. Ich erkannte »Rise And Shine My Blue Suede Shoes«.
    Schmiddel war noch nicht zu sehen. Wahrscheinlich brütete er noch in der Garderobe, den Daumen am Rädchen des stummen Radios. Ich stolperte über Betty, der die Zunge schon wie ein Kloß im Mund lag. Ich sprach Zebra an, deren Blick über die Dachlandschaft schweifte; offenbar suchte sie Chuck und wollte sich nichts anmerken lassen. Im Norden glomm das Columbus-Hochhaus auf, in stetig zunehmender Lichterpracht.
    »Du«, sagte Zebra, »ich glaub, ich muss da mal schnell jemand begrüßen. Wir sehn uns.«
    Auf halber Strecke drehte sie sich noch einmal um und rief: »Amüsier dich gut!«
    Ich griff mir ein Bier, machte es mir auf einem Abhang bequem. Ich hörte das Lachen einer Gruppe Blondinen; es waren tiefgekühlte Mädchen in Kleidern aus Haushaltsfolie. Ein junger Mann im Muscleshirt hatte den Jägerhut so tief in den Nackengeschoben, dass ihm die klebrigen Pechlocken in die Stirn rollten. Chuck kam mit der Stewardess um die Ecke, zeigte kurz auf mich und flüsterte der Frau etwas ins Ohr. Ich winkte, bekam von Chuck einen halben Winker zurück und einen ganzen von der Stewardess. Dann war das Paar verschwunden, verschluckt von einer Gruppe üppig geschminkter Männer, die mit suchenden Blicken über die Betonwellen kreuzten.
    Als Schmiddel den Gipfel bestieg, war die Sonne gerade untergegangen. Gemessen nahm er Stufe um Stufe, das Radio schlenkerte fast achtlos in seiner Hand, im gleichmäßigen Takt seiner langen Arme. Er schien keinen Blick für das Fest zu haben; Stufe für Stufe schritt er den Hang hoch, konzentriert, das Kinn im hochgeschlagenen Mantelkragen geborgen. Ich sah, wie er durchatmete, als er am Gipfel angelangt war; es war, als filterte er das Fest, als atmete er es ein und wieder aus.
    Es war wie immer ein großer Moment. Jeder musste jetzt Schmiddels Anwesenheit spüren, auch wenn viele noch immer nicht hinschauten, beschäftigt mit Trinkspielen, Tablettenmissbrauch und burschikosen Flirts, oder hinüberstarrten zur Traglufthalle am Südufer, wo die sechstausendsechshundertsechsundsechzigste Vorstellung des Musicals

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