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Ueberdog

Ueberdog

Titel: Ueberdog Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg-Uwe Albig
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letzten Mal Geld ausgegeben hatte; es fühlte sich an wie ein Regelbruch, eine aufregende kleine Schummelei. Aber in diesem Moment spürte ich ein Bedürfnis nach Unschuld, nach Kindheit, nach Point Zero.
    Ich sah die Kellnerin auf mich zukommen. Ich fand kein Zögern, kein Befremden in ihrem Blick. Als sie sich über meinen Tisch beugte, um das Glas mit dem schlaffen Teebeutel abzuräumen, roch ich ihr Parfum; es war Théorie von Aline Badiou. Ich erinnerte mich, dass auch ich diesen Duft einmal getragen hatte; ich fragte mich, ob man mir das immer noch anmerkte.
    »Was darf’s sein«, fragte die Kellnerin. Ich bereitete mich auf den winzigen Schritt rückwärts vor, den suchenden Blick Richtung Küche, das kleine Naserümpfen, das sich mit einem angedeuteten Niesen verstecken ließ. Stattdessen strahlte die Kellnerin mich an, musterte wohlwollend mein Gesicht, erwartete meine Entscheidung geradezu hoffnungsfroh.
    »Einen doppelten Bacardi«, sagte ich rauh. Ich holte die Stimme tief aus der Kehle, schleifte sie über Mandeln und Stimmritzen. »Und, sagen Sie mal, Gatorade« – ich versuchte so etwas wie ein irres Lachen – »haben Sie wohl nicht zufällig da.«
    »Gatorade leider nein«, sagte die Kellnerin, und ihr Lächeln schien noch einmal aufzublühen. »Aber wenn ich Ihnen ein Pocari Sweat bringen darf.«
    Es war hoffnungslos. Ich riss den Reißverschluss meiner putzbereiften Kapuzenjacke auf, ließ den ledernen Patronengurt aufblitzen; ich erntete keinen Respekt, keine Scheu. Die Kellnerin warf nicht einmal einen verlegenen Blick zur Seite, zur Tischdekoration oder zu dem Feuerwerk, das gerade in diesem Moment über der Kennedybrücke in den anthrazitfarbenen Himmel sprang.
    Ich starrte aus dem Fenster. An Stelle der Kellnerin verfolgte ich das Feuerwerk. In diesem Moment, eine grüne Kugel schoss in den Himmel wie ein Zeichen für Seenot, glaubte ich zu begreifen,was Zork an mir hasste. Ich war eine Touristin, nicht heiß und nicht kalt; ich war lau. Ich war nicht kompromisslos genug. Dienstleister wie diese Kellnerin waren es, die einen Touristen auf hundert Meter Entfernung erkannten; Touristen, das waren die, die man bedient, die man verachtet. Erst wenn man nicht mehr bedient wird, kann man sicher sein, die Verachtung überwunden zu haben.
    Ich kam mir fast trotzig vor, als ich nach dem Rum-Pocari noch einen Rotwein bestellte. Ich ließ mich sogar beraten. »Nehmen Sie den Spätburgunder«, sagte die Kellnerin, »der wird immer gern genommen.« Nie zuvor hatte ich etwas getrunken, das immer gern genommen wird; ich hätte mich gefühlt, als tränke ich etwas, das schon jemand im Mund gehabt hat. Jetzt war ich schon so weit, um Empfehlungen zu bitten.
    »Hm – als Nächstes vielleicht einen Rémy Martin«, sagte die Kellnerin, die Augen nachdenklich zur Deckentäfelung erhoben. »Und dann – einen Sambuca. Eigentlich wollen über kurz oder lang alle immer einen Sambuca.«

    An diesem Abend machte ich mich erst spät auf den Weg in die Philharmonie. Ich fühlte mich erholt, geölt mit den besten Tropfen der Welt, gepanzert mit harter Währung, die mir immer noch zu Gebote stand, auch wenn ich seit Wochen kein Foto mehr verkauft hatte. Es war eine Schwäche, mit solchen Hilfsmitteln die Selbstachtung wiederzugewinnen, doch an diesem Abend spürte ich darin eine Kraft. Ich spürte etwas, das mir allein gehörte; etwas, das Zork nicht bekommen würde, selbst wenn er wollte. Ich nahm sogar ein Taxi; die Adresse in der HafenCity entlockte dem Fahrer einen anerkennenden Pfiff.
    Doch auf der Langen Reihe schaltete der Fahrer das Radio an, und die Zerknirschung holte mich ein. Er hatte Schmiddels Sender gewählt, Oldie 98. Oldie 98 spielte »I Can Do Better« von den Treasure Twins. Ich sah die linke Faust vor mir, die Schmiddel jedes Mal ballte, wenn in den Nächten der Elbphilharmonie dieser Song erklang. Ich dachte an sein konzentriertes Gesicht, das in die Ferne blickte und zugleich nach innen, dorthin, wo auch bei ihm wohl gewöhnliche Eingeweide saßen. Ich dachte an den Jubel, der dann von der Tanzfläche aufstieg. Und ich fragte mich, was ich im Auto von einem Mann zu suchen hatte, der nicht wusste, was »I Can Do Better« bedeutete.
    Verstohlen, Zittern in den Fäusten, kletterte ich über den Zaun. Ich fühlte mich wie eine dumme kleine Ausreißerin, die sich nach einer sinnlos verausgabten Nacht ins ahnungslose Elternhaus zurückstiehlt und auf dem Weg in ihr Jugendzimmer hört, wie sich der Vater

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