Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ueberdog

Ueberdog

Titel: Ueberdog Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg-Uwe Albig
Vom Netzwerk:
die Koteletten rasiert.
    Noch in den Parkhausspiralen kamen mir zwei unbekannte Pärchen entgegen, die sich offensichtlich gerade gefunden hatten – die Männer schauten einander ständig an, als müssten sie beraten, was mit den Eroberungen zu geschehen hatte, als wollten sie vielleicht noch einmal tauschen. Im Vorbeigehen ließ der eine den Hintern seiner Begleiterin los und fasste mir auf den Bauch, als wäre ich schwanger.
    »Du, lass mal«, sagte ich lahm.
    Auf der Plaza stand eine Blondine und filmte das Geschehen; sie trug einen Anorak in der Farbe verdünnten Himbeersirups und zog beim Filmen den rechten Mundwinkel hoch. Vor ihr posierten drei Mädchen in Übergangsmänteln. Sie hielten in synchronem Winkel Weinflaschen an ihre Lippen; es sah aus,als bliesen sie ein Halali oder den Kleinen Zapfenstreich. Zwischen den verpackten Nasszellen im Hotelblock sah ich zwei nackte, unnatürlich weiße Frauenbeine ragen; meine verstauchten Gedanken kreisten um Mord. Dann erkannte ich, wie ein Mann in Schwarz sich zwischen den Marmorbeinen erhob; auf den zweiten Blick erkannte ich Chuck. Schließlich sammelte auch die Frau am Boden ihre Beine zusammen; ich war erleichtert und verstört zugleich, dass es nicht Zebra war.
    Für diese Nacht verlegte ich mein Lager ins Sockelgebäude. Ich wollte fern vom Geschehen sein, fern vom Trubel, fern von den anderen und ihren unbarmherzigen Blicken. Es war mir lieb, dass ich von hier aus den Fluss nicht sehen konnte; es fühlte sich an wie Askese, wie eine wohltätige Nacht im Kloster.

18
    An den folgenden Tagen fand ich endgültig heraus, wie einfach das Trinken ist, wenn einem jemand zu trinken gibt. Ich stellte sogar fest, dass ich begabt war; einmal trank ich im Kleinen Konzertsaal den überforderten Chuck unter den aus Euro-Paletten und Bierkisten kühn zusammengezimmerten Tisch. Wenn Zork frischen Gabba ansetzte, wartete ich kaum, bis er fertig gemischt und geschüttelt hatte; schon nahm ich ihm die Flasche aus der Hand. Ich sah Zork nicht an, sondern trank nur, den Blick auf die Elbe gerichtet. Meine Seele schwang mit den Kränen, den akrobatischen Möwen, dem feuchtbraunen Dunst über der Köhlbrandbrücke. Als ich absetzte, konnte Zork neu anfangen zu mischen.
    Ich schluckte jeden Tropfen Gabba, der mir in die Quere kam. Und so füllte ich mich praller denn je mit dem reinen Geist an, der uns Philharmoniker von den Followern unterschied. Es war der Geist der Sinnlichkeit und der Rohheit, der Geist des Leckmichamarsch.
    Ich erzählte Witze über Nazis und Schönheitschirurgen. Ich packte Chuck, der nicht zuhören wollte, an den Ohren. Ich senkte meine Stirn gegen seine, zischte ihm ins Gesicht: »Deine Ohren sind echt nichts wert. Ich glaub, die brauchst du nicht mehr.«
    In einer Freitagnacht griff ich dem Twen von der Hochschulefür Gestaltung, der an einer Säule auf der Plaza lehnte, mit halb geschlossenen Augen, die Brauen hochgezogen und die Locken an den Beton gepresst, in den Ausschnitt seines Tischdeckenhemds. Ich nestelte auch noch die beiden restlichen Knöpfe auf und schob ihn unter Grunzen in den Hoteltrakt, zwischen die eingepackten Sanitärelemente, wo nur noch das Wispern und Zischen junger Marder an unsere Ohren drang.
    Und ich lernte zu kotzen, ohne mich zu schämen. Ich lernte kotzen vor begeistertem, abwartendem oder gleichgültigem Publikum. Mal kotzte ich wie ein Wasserfall am Sambesi, dann wieder mit dem zierlichen Sprudeln eines römischen Brunnens; ich kotzte wie ein Schrei oder wie ein Flüstern. Ich kotzte mit gelebtem Selbstbewusstsein, frisch, unangestrengt und mit britischem Humor. Ich lernte, das ganze Füllhorn der Gerüche zu lieben, die unsere Welt für mich bereithielt; ich fand sogar Geschmack an meinem eigenen Aroma.
    Nur Zork ließ sich nicht beeindrucken. Einmal, als er wie Vito Churrasco seine Faust in ein Dämmwolle-Polster trieb, sah er mir nicht einmal mehr ins Gesicht, sondern gleich auf die Nikon. »Och nee, nich«, stöhnte er. »Nich schon wieder die Scheiß-Kamera.«
    »Ich finde ja, du hast es verdient«, sagte ich laut. Aber Zork winkte nur ab und zimmerte noch einen linken Haken in die Dämmwolle.
    Es war eine der grandiosen, verstörten Ideen Pauls gewesen, die Hochzeit von Zebra und Chuck auf dem Dach zu feiern. Schon im Abendrot standen jetzt die Gäste in der Eislandschaft, inmitten der Gletscher, deren Leuchten den Gabba glühen ließ. Siestanden an den Hängen wie Skifahrer, Standbein gestreckt und Spielbein gebeugt.

Weitere Kostenlose Bücher