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Ueberdog

Ueberdog

Titel: Ueberdog Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg-Uwe Albig
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wenn sie zum ersten Mal den Geburtstag ihres Bruders vergisst.
    Schmiddel ging auf den Türken zu, an Biertischen und Sonnenschirmen vorbei. Er hielt ihm das flackernde Feuerzeug vors Gesicht. Der Mann nickte, nahm einen Zug aus der Zigarette und lachte albern; oben rechts blinkte ein goldener Eckzahn. Ich sah, wie die beiden noch eine Weile zusammenstanden; ich wollte so gern hören, was sie sich erzählten, doch ich hörte nur das hektische Pumpen der Ska-Band.
    »Cool«, sagte Schmiddel bei seiner Rückkehr und hob den halb gefüllten Plastikbecher, den er von einer der Bierbänke mitgebracht hatte.
    Wir bogen zur Alster ab, dem Yachtclub entgegen. Dort, erinnerte ich mich, hatte ich einmal bei der »Serious Slaughter«-Matinee mit Roger Zachary einen Knallbonbon geteilt. Ich hatte das größere Stück erwischt; es enthielt ein Glücksschwein mit psychedelischen Spiralen in den Augen. »Always lucky, you Germans«, hatte Roger gesagt und, wenn mich nicht alles täuschte, meine Hüfte berührt. »All the luck, and all the drugs.«
    Jetzt hörte ich nur noch Schmiddels Schritt neben mir; Chuck und Zebra waren offenbar zurückgeblieben. Ich hörte Schmiddels hohe, weiche Stimme. Ich hörte das Flappen meiner Sneakers auf dem Kies des Uferwegs; es kam mir unanständig laut vor. Ich begann, meine Füße vorsichtiger aufzusetzen. Schmiddels Schritte waren kaum zu hören; es klang wie ein Rollen, wie Fahrradreifen auf Asphalt.
    »Weißt du, Uschi«, sagte Schmiddel. Ich sah nicht mehr hin, als er fortfuhr. Ich hörte nur noch auf seine Stimme. »Die Galeristen, die Sammler, die Kritiker«, sagte Schmiddel, »das sind alles Zecken, Uschi. Die haben kein Hirn. Die haben auch keine Augen im Kopf. Die können sich auch nicht bewegen. Die sitzen in den Bäumen und warten, dass was vorbeikommt. Und wenn das nach Buttersäure riecht, dann lassen die sich fallen. Dann müssen die sich fallen lassen. Da können die nix zu. Und dann beißen die sich fest, Uschi. Und wenn du die loswerden willst, dann musst du denen den Kopf abreißen. Das ist eine Sauerei, Uschi, das sag ich dir. Da läuft dir das Blut die Beine runter. Und wenn du denkst, du bist sie los, dann merkst du, die haben dein Hirn längst weich gekriegt. Und deine Nerven, Uschi.«
    Ich verbot mir, hinzusehen, als Schmiddel fortfuhr: »Alles bloß noch ekeliger gelber Schmodder. Bor-re-li-o-se sagt man dazu.«
    Die Wolke von den Mundsburg-Hochhäusern kam näher; fast war mir, als senkte sie sich auf mich herab, auf meinen armen, verwirrten Kopf. Nie hatte ich Schmiddel so lange reden hören. Und so ausführlich war seine Rede, so gnadenlos hatte er seine Botschaft gedehnt, dass sie dünn klang und langgezogen, wie ein stimmloses Pfeifen, wie ein Tinnitus, der ortlos zwischen meinen Ohren oszillierte.
    »Weißt du, ich war ein schwieriges Kind, Uschi. Meine Mutti hat mir Aquavit gegeben. Dann war ich ruhig. Manchmal haben die Typen den vorher schon weggetrunken, dann war nix mehr mit Ruhe. Dann hab ich die Präser aus dem Nachttisch geholt. Und mit der Nagelschere Muster reingeschnitten, Kreuze, Halbmonde,Sternchen. Einer von den Typen hat mir dann so ein Ding in die Fresse gestopft.«
    »Wie ekelig, Schmiddel«, sagte ich. Dabei spürte ich alles andere als Ekel. Ich fühlte mich merkwürdig leicht und im Einklang mit allem, im Einklang mit der Uferlinie, mit Schmiddels rollenden Worten.
    »Gar nicht ekelig«, bestätigte Schmiddel. »So lernt man Leute unterscheiden, Uschi. Das gibt immer solche und solche. Und da kommt das auf an, Uschi, ich sag dir das.«
    Zwei Möwen sanken auf den Wasserspiegel, drehten kurz vorher ab; ihre Bahnen kreuzten sich in der Luft. Ich hatte das Gefühl, diese Möwen hätten etwas mit Schmiddel und mir zu tun; ich kam nicht darauf, was. Sie waren ein Kommentar zu einem Text, den ich nicht kannte. Vor uns lag jetzt der Yachtclub.
    Ich hielt den Zeitpunkt für gekommen, jetzt meinerseits Schmiddel eine Geschichte zu erzählen. »Kennst du Roger Zachary, Schmiddel«, fing ich an. Schmiddel gab keine Antwort.
    Ich drehte mich zu ihm um. Schmiddel hatte sich in eine Möwe verwandelt. Sie hockte auf dem Rasen und machte sich an einer weggeworfenen Eistüte zu schaffen.
    Noch vor dem Eingang des Yachtclubs beschloss ich, dass ich urlaubsreif war. Ich hatte Halluzinationen; ich brauchte eine Pause, eine kleine Fahnenflucht. Auf der Terrasse des Yachtclubs bestellte ich einen Banana Split mit Sahne. Ich konnte mich nicht erinnern, wann ich zum

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