Ueberdog
Augen.
Ich muss geschlafen haben, im Sitzen, auf dem nackten Beton. Denn als ich die Augen wieder aufschlug, sah ich den Tag in seiner ganzen Banalität im Fenster stehen, seine Containerschiffe, die blau spiegelnden, zweidimensionalen Fassaden seiner Hochhäuser. Ich machte mich auf den Weg durch das Gebäude; plötzlich war mir, als wäre es auch nur noch eins dieser Hochhäuser,flach und geheimnislos. Ich wollte niemandem begegnen. Ich stand im Lift, spürte den Abstieg im Bauch und hielt auf jedem Stockwerk den Atem an.
Als ich die Plaza überquerte, saßen schon alle auf der Treppe zum Großen Konzertsaal. Schmiddel hockte in der Mitte, die Knie zusammengepresst, in seiner bezaubernden Schüchternheit. Rechts von Schmiddel hatte Zork die Arme verschränkt, sein Blick war aus warmem Chrom. Zu seiner Linken fuchtelte Paul mit den Armen auf den lachenden Chuck ein, in dessen Schoß Zebras Kopf lag und sich von Zeit zu Zeit drehte, träge und aufmerksam, wenn ein neuer Sprecher das Wort ergriff. Und drei Meter abseits kauerte Betty, das wilde Haustier mit den Pandaaugen; sie packte ihren Berliner mit beiden Händen, riss in kurzen Abständen ihr weites Maul auf und trieb ihre Zähne in den Teig. Allen rannen, wie in »Fahrschule der Vampire«, rote Fäden aus den Mundwinkeln. Und ich musste zugeben, dass das Gruppenbild stimmig aussah, wie von genialer Hand arrangiert; wie das Cover der »Last Supper«-CD von Justine Kidding.
»Uschi sieht gut aus«, sagte Schmiddel zwinkernd und sah mich an. »Sieht Uschi nicht gut aus?«
»Super sieht Uschi aus«, sagte Zork. »Komm, kriegst auch einen Berliner.«
»Sollst auch nicht leben wie ein Hund«, fügte Chuck nickend hinzu.
Ich streckte den Arm aus, als Zork mir den Berliner reichte. Da zog Zork das Gebäckstück zurück; erst als ich den Berliner mit den Zähnen packte, ließ er los.
Trotzdem kam mir alles richtig vor in diesem Moment. Ich erzählte einen Witz, in dem David Princeton vorkam, eine Penisprotheseund Shakespeare; beim Wort »Penis« lachte sogar Paul. Chuck schlug sich immer wieder grunzend an die Stirn. Ich lehnte mich zurück; ich schaute in die Runde, den Kopf hoch wie lange nicht mehr. Ich fand meinen Platz neben Zebra und Paul auf der Treppe; ich fühlte mich geborgen. Ich vergaß sogar meine Kamera; ich fragte: »Und ihr?«
Und Schmiddel antwortete: »Ach weißt du, Uschi.«
Und dann lächelte er mir offen ins Gesicht. Vor lauter Freude wuchsen seine Zähne, so kam es mir vor, fast einen Zentimeter über seine Lippen hinaus. Es war ein Blick der Gnade. Und dieser Blick genügte, um mich davon zu überzeugen, dass ich diese Gnade verdient hatte.
Leichtherzig verabschiedete ich mich von den Gedanken an die vergangene Nacht. Mein Blick folgte den lustigen Sonnenstrahlen, die der frühe Nachmittag auf die Plaza schickte, den flimmernden Staubkörnchen vor den schrägen Säulen. Und aufmerksam hörte ich Chuck zu, der die Bierflasche in der Hand schwenkte wie einen Taktstock und seinen Plan für den Abend ausbreitete.
»So lange du lebst«, sagte Chuck jetzt zu Zebra. »Und was du willst. Ich meine, so viel kannst du gar nicht trinken, wie du da leben müsstest.«
»Ich kann nicht singen«, warf Zebra ein.
»Ey, hast du mal Madonna gehört oder wie die heißt«, gab Chuck zurück. »DIE kann nicht singen.«
Natürlich hatte Chuck wieder gewonnen. Und als er dann noch seine zarte Zunge herausstreckte, um sich die letzten Marmeladenreste aus dem Bart zu lecken, war auch ich von seinem Plan überzeugt.
19
Als wir um halb elf die Stufen zum Super Sound hinabstiegen, hatte die Konkurrenz schon die besten Plätze besetzt. Uns blieb nur ein Tisch unter der Treppe, ohne Sicht auf die Bühne. Doch vielleicht war es von Vorteil, die Gegner nur zu hören und nicht zu sehen.
Es gab nur sechs Stühle für uns. Zebra musste auf Chucks Knien sitzen; dafür konnte sie, wenn sie den Hals reckte, über die Bar hinweg das Geschehen verfolgen. Zork nutzte umgehend unsere Abgeschiedenheit, um aus seiner Ledertasche eine Zweiliterflasche Gabba auf den Tisch zu zaubern.
Dass er mir als Erster zu trinken gab, versetzte mich in eine unsinnige Euphorie. »Möge der Beste gewinnen«, krähte ich und: »Dabeisein ist alles.« Ich sah Pauls stumme Lippenbewegungen; ich wusste nicht, ob er seine Gedichte memorierte oder schon lautlos für den Wettbewerb übte. Als eine sommersprossige, irgendwie weise aussehende Philippinerin an unseren Tisch trat, lud Chuck sie mit
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