Ueberdog
Tsunami, nur noch reines, unverfälschtes Gefühl. Niemand, der das Lied nicht kannte, wäre in der Lage gewesen, den Wortlaut der Fortsetzung zu verstehen: »– von dem kleinen Fischerdorf am Kaspischen Meer.« Doch auf die Worte kam es ohnehin nicht an.
Das war der Moment, in dem der Manager des Super Sound an unseren Tisch trat. Er trug eine Brille, wie sie Leute tragen, die an Autoritäten glauben; und so war es kein Zufall, dass sein Instinkt ihn dazu anhielt, sich sofort an Schmiddel zu wenden. »Hören Sie, Herrschaften«, sagte er. »Jetzt lassen wir vielleicht auch mal die anderen ran.«
Schmiddel blinzelte ihn irritiert an. Dann starrte er auf den Tisch; es sah aus, als kicherte er in sich hinein. In das Schweigenhinein, das auf ihren Auftritt folgte, kehrte Zebra an unseren Tisch zurück. »Was, schon«, fragte sie beim Anblick des Managers. »Haben wir schon gewonnen.«
Der Manager schob die Brille auf die Nase. Über den Rahmen hinweg stierte er Zebra an, die sich umdrehte und der Philippinerin einen Wink gab, um eine Bestellung aufzugeben. »Was denn gewonnen«, fragte der Manager; jetzt war es uns endgültig gelungen, ihn aus der Fassung zu bringen.
Es war erbärmlich, wie der Manager nun versuchte, sich aus seinem Versprechen zu stehlen. Wie er glattweg abstritt, jemals lebenslänglich Freigetränke für den Sieger des Gesangswettbewerbs ausgelobt zu haben. Wie er leugnete, dass es sich überhaupt um einen Gesangswettbewerb handelte. Es war ein Schauspiel, das Schmiddels Gelassenheit umso weisheitssatter strahlen ließ.
»Sag bloß«, sagte Schmiddel.
Es klang nicht nach Häme, sondern nach Neugier. Neugierig blickten Schmiddels kleine Augen auf den Manager hinab, der jetzt mit aufgeregtem Gefuchtel die Kellnerin zurückscheuchte und das Tablett mit Kognaks, das sie auf den plötzlich zitternden Armen trug.
»Haben Sie überhaupt Eintritt bezahlt«, fragte er drohend in die Runde. Er zeigte auf den Tisch am Eingang, an dem eine brünette Statistin mit einer geöffneten Stahlkassette wachte; auf den Tisch, den er nachträglich aufgestellt haben musste, um seine Ausrede zu beglaubigen.
Ich sah Schmiddel an. Ich sah seine weiße, durchsichtige Stirn; ich wusste, dass hinter dieser Stirn längst die einzig treffende Antwort auf die Zumutungen des Wirtes schlummerte.Ich sah Chuck an, die gespannten Sehnen an seinem Hals. Ich sah Zebra, die den Kopf gesenkt hatte, eine Nashornkuh kurz vor dem Angriff; ich wartete auf den entscheidenden Satz. Es war seltsam ruhig geworden in dem Lokal; erst jetzt fiel mir der Ventilator auf, der an der Decke rotierte. Neue Gäste betraten den Keller, sahen sich um, schienen auch arglos zu zahlen; und es war so still geworden, dass ich deutlich die Stimme der Kassiererin hören konnte: »Acht Euro bitte.«
»Sonst muss ich Sie leider bitten«, sagte der Manager und blickte zur Tür. Wieder sah ich Schmiddel an, der aus irgendeiner Ferne durch den Manager hindurchblickte; er schwieg, aber ich konnte sehen, dass etwas in ihm arbeitete. Ich wusste, dass sein Schweigen nur eine Stille vor einem Sturm sein konnte. Und wahrhaftig war dies der Moment, in dem mit dramatischer Lautstärke die Musik wieder einsetzte.
Ich erkannte den Song sofort. Ich erkannte das Schlagzeug, ich erkannte den Bläsersatz. Es war »Rehab« von Amy Winehouse, und die gute alte Betty, die aus heiterem Himmel auf der Bühne stand, passte mit ihrer Nase, ihrem Mund und ihren Pandaaugen so perfekt zu dem Song, dass sich alle Köpfe ihr zuwandten und sich gleich darauf zueinanderneigten, um die Beobachtung weiterzugeben. Betty trug das zusammengewürfelte Zeug, das sie immer trug – ihre babyfarbenen Mallorca-Ballerinas, ihr halbseidenes Oberteil, in dem die Brüste lagen wie Eiskugeln in der Zwillingstüte. Sie trug auch ihren pinkfarbenen Minirock mit dem zickigen schwarzen Aufdruck in vergrößerter Schreibschrift, wie sie holländische Textildiscounter führten. Auf ihrer Glatze trug sie eine hysterische, zottige Perücke, die sie vom Müll gepflückt haben musste.
Doch auf dieser Bühne, in den Klangwolken dieser sehnigen, trotzigen Musik, gewann ihre Kluft eine ungeahnte Würde. Sie stellte Forderungen, verlangte einen frischen, unverbrauchten Blick. Mit einem Mal sah es aus, als hätte unsere Betty sich für diesen Abend als Amy Winehouse verkleidet.
Dann fing sie an zu singen. »They tried to make me go to rehab / But I said no, no, no«, sang sie. Ich konnte es nicht glauben. Es klang,
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