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Ueberdog

Ueberdog

Titel: Ueberdog Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg-Uwe Albig
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großer Geste zum Mittrinken ein. Schmiddel nickte, um das Angebot zu unterstreichen, mit ernster Miene.
    »Würd ich gerne«, sagte die Philippinerin. »Aber ich bin im Dienst.«
    »Schade«, sagte Chuck und wandte sich wieder der Flasche zu. Die Asiatin bewegte sich nicht vom Tisch fort. »Was«, fragte sie, »darf ich Ihnen bringen.«
    »Eine Runde Champagner«, meldete Zork. »Aber italienischen, hörst du.«
    »Haben wir leider nicht«, sagte die Frau.
    »War nur ein Witz.« Zork sah sie an, geduldig, als müsste man ihr noch viel erklären. »Wir müssen ja gleich noch singen«, erläuterte er sanft. »Da knallen wir uns doch nicht schon vorher zu.«
    »Tut mir leid«, sagte die Frau. »Sie müssen hier schon was verzehren.«
    »Na gut«, meldete sich jetzt Zebra. »Eine Runde Kognak. Das ziehn Sie dann nachher von unserem Gewinn ab.«
    »Welchem Gewinn«, fragte die Kellnerin mit verwundertem Blick. Sanft und forschend lagen ihre Lippen aufeinander; sanft und forschend blickte sie uns der Reihe nach an. Chuck beruhigte sie: »Das lass man unsere Sorge sein.«
    Als der Kognak kam, sang schon ein Mann mit flehendem, kurzatmigem Bariton »Teenage Forever« von Barry Drinkwater.
    »Voll das Arschloch«, urteilte Zebra, die den Überblick hatte.
    Dann trat eine Pause ein, gefüllt von Gläserklirren und verstohlenen Beratungen. Der Barmann, ein mächtiger, schlafäugiger Malaie, ging selbst zum Mikrofon und brachte eine näselnde Version von »Sunshine In My Saxophone« zu Gehör; es klang wie sunshibe in my saxophobe .
    Allmählich fanden auch die anderen Kandidaten Mut. Eine Frauenstimme, die aus den Tiefen einer Gasheizung zu kommen schien, interpretierte »If I Only Could Love You« von den Vevettes. Ein gemischtes Duo, angeführt von einer gepressten Ziegenstimme, die einen bauchigen Mezzotenor im Schwitzkasten hielt, versuchte sich an Paul Prescotts »Some Girls Have Something«.
    »Interessant«, sagte Schmiddel.
    »Was sind denn das für welche«, fragte Chuck, und Zebra reckte folgsam den Hals.
    »Reaktionäre Spießer«, informierte sie uns.
    Mit überlegenem Lächeln sahen wir uns an. Und in der Pause, die nach einer bestürzenden Darbietung von »My Love Is Like A Hovercraft« entstand, schickten wir den ersten Mann ins Rennen.
    Paul stand auf und sprach mit dem Mann am Computer; kurz darauf pumpte das Intro zu »Weil du mich nicht willst« aus den Boxen. Wir erhoben uns von den Stühlen und konnten sehen, wie Paul mit dem Rücken zum Publikum stand, um kein Wort der Schrift zu verpassen, die über den Bildschirm lief.
    Er stand mit gespreizten Beinen; er sah heroisch aus. Er war ein düsterer Schattenriss vor dem Farbgeflimmer, das sich zu Heidelandschaften ordnete, zu Gesichtern junger Paare im Nebel, zu Möwen über schimmernden Flüssen. Ich hörte sein Atmen zwischen den Sätzen, sein Husten, einmal einen Anflug von Weinen; er gab uns seine Seele, er hielt nichts zurück. Als er fertig war, waren wir die Einzigen, die Beifall klatschten.
    Wir brauchten nicht viele Worte, um uns zu einigen, dass es wichtig war, sofort nachzulegen. Wir klatschten Chuck ab, der mit schlenkernden Beinen auf die Bühne marschierte; er ließ das Mikrofon kreisen, das knurrend gegen die Spiegelsäule flog. Jeder konnte Chucks Unbeschwertheit sehen, seine Überlegenheit über die Dinge. Als er die ersten Takte von »Mein kleines blindes Murmeltier« anstimmte, spürte ich eine Art Unruhe im Publikum, hörte Füßescharren; hier war offenbar etwas, das für reaktionäre Spießer nicht leicht zu schlucken war.
    Als Chuck zum zweiten Mal den Refrain sang, der in dem charakteristischen Murmeltierpfiff endete, und als noch während des Refrains ein Paar in identischen Jeansjacken das Lokal verließ, reagierte Schmiddel geistesgegenwärtig. Für Chuck schickte er Zebra in den Ring. Halblaut flüsterte er ihr Anweisungen ins Ohr.
    Es dauerte ein paar Minuten, bis der überrumpelte Mann am Computer Zebras Lied gefunden hatte. Zebra ging ohne Zögern daran, den Zeitverlust aufzuholen. Sie wartete nicht auf das Ende des Intros, auf das Anrollen der Schrift. Sie schrie ihr Lied heraus, wie es in ihr wohnte, wie es ihr auf der Seele brannte, unbekümmert um Konventionen, um das Korsett abendländischer Liedform.
    »Jede Nacht lieg ich wach«, schrie sie, ließ das letzte Wort virtuos aufheulen, um sich noch mitten in der Zeile zu steigern:
    »UND ICH TRÄUME!«, trumpfte sie auf.
    Und dann war ihr Gesang nur noch Sturm, nur noch

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