Ueberdog
Zorks täglich massiger werdender Körper füllte ihn schon fast ganz allein; seine Masse schien Amy zu neutralisieren, ihre Kraft zu verschlingen, ihre Energie zu verbrauchen für seinen unersättlichen Stoffwechsel. Ich sah, wie Zork ein Auge öffnete; ein träges Walauge beim Auftauchen, knapp über dem Wasserspiegel. Ich hob die Hand auf halbe Höhe, drehte mich um und verließ auf Zehenspitzen den Raum.
Dass Amy nicht zu berechnen war, machte es mir nicht leichter. Manchmal kam sie sogar auf mich zu, schwenkte eine fast volle Flasche Gabba oder den bitteren Rest eines Biers. Herzhaftgriff ich dann nach der Flasche, lächelte Amy an, lächelte in die undurchschaubare Maske ihres Gesichts. Doch im selben Moment sah ich, dass Amys Blick schon über meine Schulter glitt. Ich brauchte nicht hinzusehen, um zu wissen, dass dort irgendwo Zork stand und den Bauch drohend in meine Richtung wölbte. Und tatsächlich riss mir Amy die Flasche aus der Hand, rempelte mich im Vorbeigehen an und brachte Zork die Flasche dar, der sie an den Hals setzte und in einem Zug austrank, ohne Amy anzusehen.
Dann zog er mit lächerlicher Konzentration eine Zigarette aus der Schachtel. Locker legte er den rechten Arm mit der Zigarette um Amys Hals. Mit der Linken zündete er vor ihrer Brust den Tabak an. Er rauchte ein paar Züge; dann deponierte er die Zigarette in Amys Mund, damit er die Hände frei hatte, um sich gründlich und neugierig zwischen den Beinen zu kratzen.
Die Fotos, die ich von Amy machte, löschte ich gleich nach dem Schuss. Die Exklusivität meines Wissens, das war mir klar, war die einzige Nähe, die mich mit Amy verbinden konnte; und so tat ich, als wüsste ich von nichts. Ich genoss mit den anderen die Nachsaison, die letzten Feuer an der Elbe, die letzten Nächte im Volksparkbad. Ich beobachtete mit gepresstem, aber auch stolzem Herzen vom Dreimeterturm herab, wie Zebras Hand hinten in Pauls Hosenbund fuhr, wie Zork rauchend auf dem Bauch lag, die Füße unter Amys Nase, die längst nichts mehr roch.
Manchmal, wenn abends die Schaulustigen in die Philharmonie kamen, wenn die Werbegrafiker ihre Handykameras zückten und die Nachwuchsmodels ihre Trinkspiele zelebrierten, wenn Amy dann irgendwann auf dem Höhepunkt von SchmiddelsRadioshow ihren Waschbärentanz aufführte, vollständig abwesend, schwer um eine ferne, finstere Sonne kreisend – dann stand ich zuverlässig in ihrer Nähe wie ein Bodyguard.
Und manchmal stellte ich mir vor, Nina Löwitsch stände neben mir. »Das ist so toll hier«, würde Nina sagen, mit dem Kopf nickend, in Schmiddels Rhythmus. Doch dann stände plötzlich Zork neben Amy, und Ninas Blick glitte zehn Zentimeter an mir vorbei, kröche fast in Zorks tief ausgeschnittenes T-Shirt hinein. Und ihr Lächeln gälte nur noch Amy und ihm, einladend und warm, ein sonniges Tal: »Aber kommt doch noch nachher mit mir raus nach Travemünde, ihr beiden. Warren Turloine ist auch da, und Peggy Michels. Und Nick – Nick Petrescu? – freut sich sicherlich auch.«
In diesen Momenten wurde mir klar, dass etwas an sein Ende gekommen war. Ich dachte an all die Mühe, die ich investiert hatte, und ich fragte mich, ob nicht jede Mühe das Ergebnis schon immer von vornherein wertlos macht. Ob nicht die wirklichen Siege, die wirklichen Ausbrüche, das wahrhaft gelungene Leben nur mühelos geschehen konnten, in blindem Einklang mit der kosmischen Ordnung, mit den Hierarchien, die auch Blutkreisläufe in Gang hielten und Sonnensysteme. Die sauber gestaffelt von den Seraphim reichten, die den Planeten Flugbahnen einrichten und Supernovä zünden, bis hinab zu den erdnächsten Engeln, die sich um die kleinen, wichtigen Dingen der Menschen kümmern – um die Vorabendserien, die städtischen Kunstvereine, die Englischen Wochen der Bundesliga.
Und im Rückblick kam es mir wie Frevel vor, wie armselige Blasphemie, einen selbstgemachten Himmel an die Stelle desHimmels setzen zu wollen, den die Engel seit Anbeginn der Zeiten bewohnten und auf ewig bewohnen würden, weil es verdammt noch mal ihr Job war.
Immer öfter hatte ich den Drang, klammheimlich zu verschwinden; mich einfach herauszukürzen aus einer Gleichung, in der ich längst keine Rolle mehr spielte. Doch ich kam nicht über den neuen Faktor in der Gleichung hinweg, der das Ergebnis verfälschte, der die Sphären vermischte, auf deren Trennung die himmlische Ordnung beruhte. Ich wollte gehen. Aber ich wollte keine offene Rechnung hinterlassen.
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Der
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