Überfahrt mit Dame
Schiff wie Ihre Mutter.«
»Deswegen sind wir hierher gekommen, um alles zu regeln«, sagte Mrs. Mavis.
»Mein Sohn, hab Mitleid mit mir und sag mir, was dein Telegramm ans Licht bringt«, fuhr Mrs. Nettlepoint fort.
»Das werde ich tun, Teuerste, sobald ich meinen Durst gestillt habe.« Er leerte gemächlich sein Glas.
»Also, Sie sind ja noch schlimmer als Gracie«, kommentierte Mrs. Mavis. »Bei ihr ging es hin und her – aber nur bis gestern ungefähr drei Uhr.«
»Entschuldigung – darf ich Ihnen etwas anbieten?«, erkundigte sich Jasper bei Gracie, die jedoch weiterhin ablehnte, als wollte sie den überschwänglichen Appetit ihrer Mutter ausgleichen. Mir war wohl bewusst, dass die beiden Damen sich lieber hätten verabschieden sollen, nun, da die Frage nach Mrs. Nettlepoints Gutmütigkeit zu aller Zufriedenheit beantwortet war und das morgige Wiedersehen an Bord des Schiffes schon kurz bevorstand, und ich ging sogar so weit, ihren in die Länge gezogenen Besuch bei einer sichtlich unruhiger werdenden Gastgeberin als endgültigen Beweis ihres Mangels an guter Erziehung zu werten. Miss Grace erwies sich letztlich doch nicht als echte Zierde ihrer Mutter, denn sie hätte leicht darauf hinweisen können, dass es Zeit war, zu gehen, trotz des offenkundigen »Spiels« von Mrs. Mavis, ihren Konsum von Erfrischungen, so gut es eben ging, in die Länge zu ziehen. Ich betrachtete das Mädchen mit zunehmendem Interesse. Ich konnte nicht aufhören, mir ein, zwei Fragen über sie zu stellen, und fühlte bereits (undeutlich und allgemein), dass sie sichtlich verlegen oder zumindest besorgt war. Machte es die Angelegenheit nicht noch komplizierter, statt Linderung zu bringen,indem sie lang genug blieb, um zu erfahren, ob Jasper mitreiste oder nicht? War womöglich bei jenem Anlass oder in jener Zeit, deren Erwähnung wir aufgeschnappt hatten, etwas Besonderes zwischen den beiden vorgefallen, und hatte sie wirklich nicht gewusst, dass ihre Mutter sie zum Haus seiner Mutter führte, obwohl sie es offensichtlich für klug gehalten hatte, alles Wissen zu verheimlichen? Derlei war bezeichnend – auch wenn man in Wirklichkeit nicht recht wusste wofür –, seitens einer jungen Dame, die mit diesem seltsam abgeschotteten Phantom eines Mr. Porterfield verlobt war. Doch muss ich hinzufügen, dass sie mir keinen weiteren Anlass zur Verwunderung gab als den, dass sie still und heimlich ihre Mutter ermutigte zu bleiben. Irgendwie spürte ich, dass sie sich der Anstößigkeit dieses Verhaltens bewusst war. Ich stand nun selbst auf, um zu gehen, doch Mrs. Nettlepoint hielt mich zurück, als sie merkte, dass mein Aufbruch nicht als Wink verstanden wurde, und ich begriff, dass ich sie nicht mit den anderen Besuchern allein lassen sollte. Jasper klagte über die Enge des Zimmers, sagte, dies sei keine Nacht, die man eingesperrt in den eigenen vier Wänden zubringe – man solle hinaus an die frische Luft, unter freien Himmel. Er beklagte, dass die aufs Meer blickenden Fenster nicht auf einen Balkon oder eine Terrasse führten, bis ihn seine Mutter, die er immer noch nicht über das Telegramm aufgeklärt hatte, an den schönen Balkon zur anderen Seite hin erinnerte, der einemDutzend Personen Platz bot. Sie versicherte ihm, dass wir uns dorthin begeben würden, wenn es ihm gefiele.
»Morgen wird es schön und kühl sein, wenn wir auf den großen Ozean hinausdampfen«, sagte Miss Mavis und verlieh dem Gedanken, den ich vor einer halben Stunde geäußert hatte, mehr Lebhaftigkeit als jeder anderen ihrer bisherigen Mitteilungen. Mrs. Nettlepoint erwiderte, es werde wahrscheinlich eiskalt sein, und ihr Sohn murmelte, er wolle den Balkon des Salons ausprobieren und Bericht erstatten. In dem Moment, als er sich abwandte, sagte er lächelnd zu Miss Mavis: »Möchten Sie mich nicht begleiten und nachsehen, ob es dort angenehm ist?«
»Nun ja, wir sollten lieber nicht die ganze Nacht hierbleiben!«, rief ihre Mutter, blieb aber noch immer reglos sitzen. Nach kurzem Zögern erhob sich das Mädchen und begleitete Jasper ins Nebenzimmer. Ich bemerkte, wie ihr Größe und Schlankheit beim Gehen zum Vorteil gereichten, und sie sah gut aus, als sie, den Kopf in den Nacken geworfen, in die Dunkelheit des anderen Teils des Hauses davonging. Dass sie solch eine Bitte akzeptierte, hatte etwas ziemlich Auffälliges, ziemlich Überraschendes an sich – ich kann kaum sagen warum, denn die eigentliche Handlung war reichlich belanglos –, und vielleicht
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