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Überfahrt mit Dame

Überfahrt mit Dame

Titel: Überfahrt mit Dame
Autoren: Henry James
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Ihre junge Freundin persönlich fragen.«
    Mrs. Nettlepoint machte große Augen. »Das könnte ich nicht tun.«
    Darüber lachte ich noch mehr, so dass ich erklären musste, ich sei amüsiert. »Was soll das nun bedeuten?«
    »Ich dachte, Sie hielten alles für bedeutsam. Sie quollen förmlich über vor Bedeutsamkeit!«, rief sie.
    »Ja, aber nun sind wir weiter draußen, und mitten auf dem Ozean wird irgendwie alles absolut.«
    »Was kann er überhaupt noch mit Anstand tun?«, fuhr Mrs. Nettlepoint fort. »Wenn er, als mein Sohn, nie einWort mit ihr wechseln würde, wäre das sehr grob, und Sie würden es noch viel seltsamer finden. Dann würden Sie tun, was er tut, und worin läge dann bitte der Unterschied?«
    »Woher wissen Sie, was er tut? Ich habe ihn seit vierundzwanzig Stunden nicht mehr erwähnt.«
    »Na, sie hat es mir selbst erzählt. Sie kam heute Nachmittag vorbei.«
    »Wie eigenartig, mit Ihnen über ihn zu reden!«, bemerkte ich kritisch.
    »Nicht, wie sie es getan hat. Sie sagte, er sei stets aufmerksam, ganz und gar hingebungsvoll – kümmere sich unablässig um sie. Sie scheint zu wollen, dass ich Bescheid weiß, damit ich ihm meine Zustimmung geben kann.«
    »Wie bezaubernd. Das beweist ihr reines Gewissen.«
    »Ja oder ihre Gerissenheit.«
    Etwas in dem Ton, in dem Mrs. Nettlepoint dies äußerte, veranlasste mich, ernstlich überrascht zu erwidern: »Aber was, glauben sie, führt sie im Schilde?«
    »Ihn sich unter den Nagel zu reißen, ihn dazu zu bringen, so weit zu gehen, dass es kein Zurück mehr gibt. Ihn womöglich zu heiraten.«
    »Ihn zu heiraten? Und was wird sie mit Mr. Porterfield machen?«
    »Sie wird mich – oder vielleicht auch Sie – bitten, es ihm schonend beizubringen.«
    »Ja, als ein alter Freund« – und einen Augenblick langkam es mir auf unangenehme Weise möglich vor. Aber ich fragte sie ernst: »Glauben Sie, dass Jasper auf diese Weise umgarnt werden kann?«
    »Na, er ist noch ein Junge – zumindest ist er jünger als sie.«
    »Genau, sie betrachtet ihn als ein Kind. Sie hat es mir heute selbst gesagt, das heißt, dass er so viel jünger ist.«
    Mrs. Nettlepoint horchte auf. »Redet sie mit Ihnen darüber? Das beweist, dass sie einen Plan hat, dass sie es durchdacht hat!«
    Ich habe – um meine Anekdote interessanter zu machen – hinreichend zum Ausdruck gebracht, dass eine unserer beiden jungen Mitreisenden etwas Merkwürdiges an sich hatte, doch war ich weit davon entfernt, ihr zu unterstellen, sie sei fähig, dem anderen eine Falle zu stellen. Zudem sah ich in Jasper mitnichten jemanden, den man umgarnen konnte – den man dazu bringen konnte, etwas zu tun, was er nicht tun wollte. Natürlich war es nicht ausgeschlossen, dass er die Neigung verspürte, dass er es sich in den Kopf setzte – oder bereits gesetzt hatte –, mit dem Schützling seiner Mutter einen Schritt weiter zu gehen, aber um das zu glauben, brauchte ich mehr Beweise als den Umstand, dass er ständig mit ihr zusammen war. Bestenfalls wollte er während der Überfahrt mit ihr »anbändeln«. »Vielleicht haben Sie versucht, ein Verantwortungsgefühl in ihm zu wecken, indem Sie ihn zur Rede stellten«, sagte ich zu meiner Kritikerkollegin.
    »Ein wenig, aber es ist sehr schwierig. Einmischung macht ihn widerborstig. Man muss sachte vorgehen. Außerdem ist es zu absurd – denken Sie an ihr Alter. Als ob sie nicht auf sich selbst achtgeben kann!«, rief Mrs. Nettlepoint.
    »Ja, lassen Sie uns weiterhin über ihr Alter nachdenken, obwohl sie wirklich nicht uralt ist. Und wenn es zum Schlimmsten kommt, dann haben Sie immer noch ein letztes Mittel«, fügte ich hinzu.
    Sie überlegte. »Sie in ihrer Kabine einzuschließen?«
    »Nein – aus der Ihren herauszukommen.«
    »Niemals, nie! Wenn das nötig wird, um sie zu retten, dann ist sie verloren. Außerdem, wozu wäre das gut? Warum sollte ich nach oben gehen, wenn sie nach unten kommen kann.«
    »Nun, Sie könnten Jasper im Zaum halten.«
    » Könnte ich das?«, fragte Mrs. Nettlepoint im Ton einer Frau, die ihren Sohn kennt.
    Tags darauf im Salon, nach dem Abendessen, über den roten Tischtüchern, unter den schaukelnden Lampen und den Gestellen mit Wassergläsern, Karaffen und Weingläsern, ließen wir uns zu einer Partie Whist nieder, und Mrs. Peck beteiligte sich an dem Spiel, um uns einen Gefallen zu tun. Sie spielte unsagbar schlecht und redete zu viel, und als die Partie vorbei war, dämpfte sie ihren Verdruss (aber nicht meinen – wir waren
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