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Überfahrt mit Dame

Überfahrt mit Dame

Titel: Überfahrt mit Dame
Autoren: Henry James
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gerät.« Ich spürte, das mein streitlustiger Tonfall Mrs. Peck irritierte: Sie forderte mich mit beträchtlicher Leidenschaft heraus. »Wie können Sie behaupten, dass ich nicht im Bilde bin, obwohl es die ganze Straße weiß und seit Jahren gewusst hat – seit etlichen Jahren?« Sie sprach, als wäre das Mädchen seit mindestens zwanzig Jahren verlobt. »Weswegen fährt sie denn sonst hin, wenn sie ihn nicht heiraten möchte?«
    »Vielleicht fährt sie hin, um zu sehen, wie er aussieht«, schlug einer der Gentlemen vor.
    »Er würde komisch aussehen – wenn er es wüsste.«
    »Na, ich schätze, er wird es wissen«, sagte Mrs. Gotch.
    »Sie würde es ihm gar selbst sagen – sie hätte keine Angst«, fuhr der Gentleman fort.
    »Da könnte sie ihn ebenso gut umbringen. Er wird über Bord springen«, prophezeite Mrs. Peck.
    »Über Bord springen?«, rief Mrs. Gotch, als hoffte sie, dass man es Mr. Porterfield erzählen würde.
    »Er wartet doch schon so lange darauf – seit langen, langen Jahren«, sagte Mrs. Peck.
    »Kennen Sie ihn denn?«, fragte ich.
    Sie antwortete vage: »Nein, aber ich kenne eine Dame, die ihn kennt. Gehen Sie hinauf?«
    Ich hatte mich von meinem Platz erhoben – ich hatte nichts zu essen bestellt. »Ich mache noch eine Runde, bevor ich zu Bett gehe.«
    »Na, dann können Sie sich ja mit eigenen Augen überzeugen!«
    Vor dem Salon zögerte ich, denn Mrs. Pecks Ermahnung gab mir einen Moment lang das Gefühl, auf gewisse Weise Teil ihrer kleinen Verschwörung zu werden, wenn ich hinaufging. Doch die Nacht war warm und herrlich, so dass ich eine Zigarre an der frischen Luft rauchen wollte, bevor ich nach unten ging, und ich sah nicht ein, warum ich mir dieses Vergnügen verwehren sollte, nur um den Anschein zu erwecken, dass mir Mrs. Peck gleichgültig war. Ich ging also an Deck und sah einige Gestalten, die in der Dunkelheit saßen oder umherschlenderten. Der Ozean präsentierte sich schwarz und klein, so wie es nachts für gewöhnlich der Fall ist, und der lange Schiffskörper mit seinen kaum erkennbaren verdunkelten Schwingen schien viel Raum darin einzunehmen. Man konnte mehr Sterne sehen als an Land, und dasHimmelszelt wirkte mehr denn je größer als die Erde. Grace Mavis und ihr Gefährte waren, soweit ich anfangs erkennen konnte, nicht unter den wenigen Passagieren, die hier so spät noch verweilten, und das freute mich, denn ich hasste es, wenn man über sie redete wie diese Klatschweiber, die ich bei Tisch zurückgelassen hatte. Ich wünschte, es hätte eine Möglichkeit gegeben, das Gerede zu unterbinden, doch das Einzige, was mir einfiel, war, ihr unter vier Augen zu empfehlen, mehr Diskretion an der Tag zu legen. Dies war eine heikle Angelegenheit, und vielleicht war es doch besser, mit Jasper zu beginnen, obwohl das ebenso heikel sein würde. Man könnte ihm jedenfalls in aller Freundschaft zu verstehen geben, welch einem Gerede er die junge Dame aussetzte – um dann diese Offenbarung auf ihn wirken zu lassen. Bedauerlicherweise fiel es mir schwer, zu glauben, dass sich das Paar der Beobachtung und Meinung der Passagiere nicht bewusst war. Sie waren nicht mehr Junge und Mädchen. Sie verfügten über eine gewisse gesellschaftliche Perspektive. Unterdessen waren mir keinerlei Details jenes Verhaltens bekannt, das sie – durfte man der Version meiner guten Freunde im Salon Glauben schenken – zu einem Skandal auf dem Schiff gemacht hätte. Denn obwohl ich die beiden angemessen zur Kenntnis genommen hatte, wie meine bisherige Schilderung erkennen lässt, hatte ich sie nicht auf so grimmige oder zumindest gekonnte Weise beobachtet wie Mrs. Peck. Dennoch wussten sie allerWahrscheinlichkeit nach, was man über sie dachte – was nur natürlich gewesen wäre –, und scherten sich einfach nicht darum. Dies ließ unsere Heldin ziemlich widerborstig und sogar recht schamlos erscheinen, aber selbst wenn sie solche Neigungen hatte, mochte ich sie deswegen nicht weniger. Ich weiß nicht, welche seltsamen Entschuldigungen ich insgeheim für sie erfand. Doch tatsächlich wurde es gleich an Ort und Stelle notwendig, mir die erstbeste zurechtzulegen, da ich, gerade als ich mich nach einigen rastlosen Runden innerhalb des Bereiches, in dem das Rauchen gestattet war, und nach ausreichend vielen Zügen an meiner Zigarre wieder nach unten begeben wollte, zwei Personen bemerkte, die sich hinter einem der Rettungsboote, die an Deck standen, zusammen niedergelassen hatten. Sie saßen so, dass man
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