Überfahrt mit Dame
Boston.«
»Es ist nicht so gut wie Paris«, bemerkte ich bedeutungsvoll.
»Über Paris weiß ich alles. Da gibt es nichts Neues mehr. Mir kommt es so vor, als wäre ich die ganze Zeit dort gewesen.«
»Sie meinen, Sie haben so viel davon gehört?«
»O ja, seit zehn Jahren nichts anderes.«
Ich hatte das Gespräch mit Miss Mavis begonnen, weil sie attraktiv war, war mir aber deutlich bewusst gewesen, dass es an einem guten Thema mangelte, da ich mich nicht berechtigt fühlte, auf Mr. Porterfield zurückzukommen. Bei unserem Gespräch, als wir aus Boston ausliefen, hatte sie mich nicht ermutigt, mit meiner Geschichte über meine Bekanntschaft mit diesem Gentleman fortzufahren. Doch nun schien sie überraschenderweise anzudeuten – es handelte sich zweifellos um eine der Ungereimtheiten, die Mrs. Nettlepoint erwähnt hatte –, dass man einen Blick auf ihn werfen könnte, ohne taktlos zu sein.
»Ich verstehe – Sie meinen in Briefen«, bemerkte ich.
»Wir werden in keinem guten Bezirk wohnen. Ich weiß genug, um mir dessen sicher zu sein«, fuhr sie fort.
»Nun, es gibt dort allerdings auch keine wirklich schlechten«, beteuerte ich.
»Mr. Nettlepoint sagt, es sei richtig übel.«
»Und auf was bezieht er diese Bemerkung?«
Sie warf mir einen kurzen Blick zu, als wären meine Worte überheblich gewesen, aber sie beantwortete meine Frage. »Oben in Batignolles. Mir kommt es so vor, als wäre es schlimmer als die Merrimac Avenue.«
»Schlimmer – inwiefern?«
»Nun, es ist noch weiter von dem Ort entfernt, wo die netten Leute wohnen.«
»Das hätte er nicht sagen sollen«, erwiderte ich. Und ich wagte, noch einen Schritt weiterzugehen. »Würden Sie Mr. Porterfield nicht als netten Menschen bezeichnen?«
»Ach, das macht keinen Unterschied.« Sie betrachtete mich erneut einen Moment lang durch ihren Schleier, dessen Stoff die Schönheit ihres Blicks noch unterstrich. »Kennen Sie ihn ein klein wenig?«, fragte sie.
»Mr. Porterfield?«
»Nein, Mr. Nettlepoint.«
»Ja, nur ein kleines bisschen. Wissen Sie, er ist um einiges jünger als ich.«
Sie verfiel abermals in Schweigen, fast als hätte ich mich erneut überheblich gezeigt, doch dann fuhr sie fort: »Er ist auch jünger als ich.« Ich weiß nicht, was daran komisch hätte sein sollen, aber diese Erwiderung kam unerwartet und brachte mich zum Lachen. Auch wusste ich nicht, ob mir Miss Mavis wegen meiner Reaktion auf diese Äußerungböse war, obwohl ich mich, wenn ich reumütig an diesen Moment zurückdenke, daran erinnere, dass sich ihre Wangen röteten. Jedenfalls stand sie auf, raffte ihr Schultertuch zusammen und klemmte sich ihre Bücher unter den Arm. »Ich gehe nach unten – ich bin müde.«
»Ich fürchte, ich habe Sie ermüdet.«
»Nein, noch nicht.«
»Mir geht es wie Ihnen«, gab ich zu. »Ich würde gern für immer und ewig so weiterfahren.«
Sie machte sich auf den Weg Richtung Treppe zu den Kajüten und ging das Deck entlang. Ich begleitete sie. »Nun, ich glaube, ich würde lieber doch nicht!«
Ich hatte ihr das Schultertuch abgenommen, um es für sie zu tragen, doch am oberen Ende der Treppe, die nach unten zu den Kabinen führte, musste ich es ihr zurückgeben. »Ihre Mutter wäre froh darüber, wenn sie es wüsste«, entgegnete ich, als wir auseinandergingen.
Doch sie war immun gegen meinen Charme. »Wenn sie was wüsste?«
»Wie gut Sie zurechtkommen.« Ich wollte mich nicht entmutigen lassen. »Und die gute Mrs. Allen.«
»Oh, Mutter, Mutter! Sie hat mich gedrängt, sie hat mich verstoßen.« Und sie ging rasch hinunter, fast als wolle sie jedes weitere Wort verhindern.
Ich stattete Mrs. Nettlepoint nach dem Frühstück einen morgendlichen Besuch ab und einen weiteren abends, bevor sie sich »zurückzog«. Am Abend desselben Tagessagte sie plötzlich zu mir: »Wissen Sie, was ich getan habe? Ich habe Jasper gefragt.«
»Was denn?«
»Nun, ob sie ihn gefragt hat, verstehen Sie.«
Ich tat überrascht. » Sollte ich verstehen?«
»Wenn nicht, liegt es daran, dass Sie ›üblicherweise‹ nichts verstehen, das sind ihre Worte. Ob das Mädchen – auf dem Balkon – ihn wirklich gebeten hat, mit an Bord zu gehen.«
»Meine Liebe, glauben Sie denn, dass er es Ihnen sagen würde, wenn sie es getan hätte?«
Sie musste meinen Scharfsinn zur Kenntnis nehmen. »Das sind genau seine Worte. Aber er sagt, sie habe nicht gefragt.«
»Und halten Sie die Bemerkung für nützlich?«, fragte ich lachend. »Sie sollten lieber
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