Überfall nach Ladenschluß
riß
Kathies Regenschirm aus dem Ständer. Mit beiden Händen faßte sie ihn. Der Hieb
galt Hartmanns Kopf. Aber der Kerl wich aus und wurde nur an der Schulter
getroffen.
Er fluchte
und war leider kein bißchen beeindruckt.
„Ich
komme“, brüllte Tom von der Straße her.
Locke sah,
wie sein Motorroller umkippte; denn die Zeit, ihn aufzubocken, nahm sich Tom
nicht. Mit Riesensätzen kam er durch den Garten.
Auch
Hartmann sah ihn. Er ließ das Rasiermesser fallen, griff unter die Jacke und
hatte plötzlich eine Pistole in der Hand. So rannte er hinaus, Tom entgegen, um
sich nicht den Rückweg abschneiden zu lassen.
„Bleib
stehen!“ brüllte er. „Oder ich lege dich um.“
Tom sah die
Pistole nicht, begriff aber, daß dieser Kerl der Feind war, und hielt auf ihn
zu.
Ein Schuß
krachte. Vor Toms Füßen schlug die Kugel auf eine Steinplatte des Weges,
Steinsplitter spritzten umher. Die Kugel jaulte als Querschläger ins Gelände
und Toms Endspurt wurde wie von einer Mauer gebremst.
Hartmann
lief nach rechts, umrundete Tom im weiten Bogen und hielt ständig die Pistole
im Anschlag.
„Geh ins
Haus! Los, ins Haus! Wenn du mir folgst, fängst du dir ‘ne Kugel ein.“
Tom drehte
sich mit, ließ den Kerl nicht aus den Augen, wich dabei langsam zur Haustür
zurück.
Über die
Schulter fragte er: „Locke, hat er dir was getan? Was ist mit Kathie?“
„Komm
rein!“ rief sie. „Der schießt sonst nochmal.“
Hartmann
war jetzt auf der Straße, wandte sich ortswärts und wetzte los, was das Zeug
hielt. Augenblicke später war er hinter Regenschleiern verschwunden.
Tom sprang
in die Diele, wo sich Kathie eben mit Lockes Hilfe aufgerichtet hatte.
„Zum
Teufel! War das der Rote?“
Locke
schluckte. Ihr Hals schmerzte noch. Kathies Gesicht verriet Entsetzen und
Verwirrung. Außerdem war ihr schlecht.
„Ja, der
Rote!“ nickte Locke und schüttelte ihre feuchte Mähne. „Wenn’s nicht so traurig
wäre, könnte ich lachen. Du ahnst nicht, wer er ist, der Rote! Kathies Freund.
Ja, der tolle Typ Wilhelm Hartmann.“
Sie
erzählte rasch, kümmerte sich dann um Kathie, die über Schmerzen unter den
Rippen klagte und seelisch an Krücken ging.
Tom fuhr in
den Ort, klingelte an zwei Villeneinfahrten vergeblich, entdeckte aber eine
Telefonzelle und rief im Polizei-Präsidium an. Ihm wurde versichert,
Streifenwagen würden sofort die Gegend um Ober-Plösel absuchen. Und man käme
auch zu Kathie Webers Adresse. Er fuhr zurück.
Die drei
warteten auf die Polizei, die schließlich eintraf. Die Beamten stellten das
Rasiermesser sicher, ließen sich nochmals in allen Einzelheiten berichten und
legten Kathie nahe, einen Arzt aufzusuchen.
Wie wenig
die Arme von ihrem vermeintlichen Freund wußte, stellte sich jetzt heraus. Sie
kannte weder seine Adresse noch die Zulassungsnummer seines Wagens.
„Wahrscheinlich
ist auch der Name falsch“, meinte einer der Beamten. „Und dann sind wir so
schlau wie vorher.“
Als die
Polizisten weg waren, versagten Kathie die Nerven. Minutenlang heulte sie an
Lockes Schulter, während Tom von einem Fuß auf den andern trat und nicht wußte,
was er tun sollte.
„Das muß
mir passieren!“ schniefte Kathie. „Verknallt habe ich mich. Wie der aufgetreten
ist! Und jetzt... Ein Verbrecher! Der Rote! Ich habe genug. Vorläufig will ich
von keinem Jungen was wissen. Wahrscheinlich bleibe ich mißtrauisch bis ans
Lebensende.“
„Ein gesundes
Mißtrauen bewahrt vor Enttäuschungen“, pflichtete Locke bei. „Sieh dir uns an!
Bevor mich Tom das erste Mal nach Hause bringen durfte, mußte er mir
handgeschriebenen Lebenslauf und polizeiliches Führungszeugnis vorlegen. Auch
heute noch überprüfe ich ihn regelmäßig. Das geht, weil Helga — seine Mutter —
meine Vertraute ist und natürlich auf meiner Seite steht.“
„Gut, daß
ich das weiß“, grinste Tom.
Immerhin
hatte Lockes Rede bewirkt, daß Kathie wieder lächelte.
Und nicht
nur sie. Der Regen hatte aufgehört. Innerhalb von Minuten war der Himmel blau,
so weit man sehen konnte. Die Sonne, die schon tief stand, lächelte mild und
begann, den Horizont zu tünchen, damit das Abendrot rechtzeitig fertig wurde.
7. Der Doppelgänger taucht auf
Viel Geld
ging durch seine Hände. Aber es gehörte anderen. Das meiste gehörte dem Chef.
Was für ihn — für Giuseppe Carezzo, den Kassierer der Mafia — abfiel, waren
Almosen. Jedenfalls empfand er das so. Er hielt das für ungerecht. Er wollte
mehr und suchte schon
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