Überfall nach Ladenschluß
Hartmann, bist du wirklich ein
toller Typ. Daß du gut aussiehst, immer Geld hast und tierisch nett bist — das
ist jetzt nicht gefragt.
Die Straße
durch Ober-Plösel machte ihre Kurven. Locke sah die Hecken und Mauern. Bis zu
den Dächern reichte die Sicht nicht. Einsam war’s hier wie am Ende der Welt.
Nicht ein einziger Wagen parkte am Straßenrand.
Schon hatte
sie das Ortsende erreicht. Der Ableger des Waldes, die Fichtengruppe tauchte
als dunkle Wand aus dem Regen auf. Dahinter lag Kathies Häuschen.
Nur noch
ein Stück — dann habe ich’s geschafft.
Wieder sah
sie sich um.
Er kam,
hatte aufgeholt, den Kopf gesenkt und die Schultern hochgezogen. Sie sah nur
seinen Umriß. Aber kein Ungeheuer konnte bedrohlicher sein.
Sie
keuchte. Sie spürte Seitenstechen. Falsch geatmet, sicherlich! Und dazu die
Angst.
Ihre
Sandalen lösten sich auf. Ihre Füße badeten im knöcheltiefen Regenwasser, das
die Straße überspülte, wahrscheinlich auch Kellerräume beglückte und
Schwimmbecken zum Überlaufen brachte.
Wenn er mir
folgt, schoß es Locke durch den Kopf, will er mich umbringen. Was sonst? Ich
bin die einzige, die der Polizei sagen kann: Da! Das ist er. Und... Doch,
Marano kann’s auch. Aber den hat er eingeschüchtert, denkt er. Ob er auch mich
nur einschüchtern will? Indem er mir mit dem Rasiermesser ein Ohr abschneidet.
Der kennt sich hier aus.
Keuchend
erreichte sie ihr Ziel.
Sie hetzte
durch den Garten, klingelte und hämmerte gegen die Tür.
„Kathie,
mach auf! Kathie!“
Sie blickte
zur Straße.
Dort stand
er, ein dunkler Fleck hinter Regenschleiern. Er verharrte.
Kathie
öffnete die Tür.
„Halloooh,
Locke! Kommst aber spät. Und jetzt hat dich die Sintflut erwischt. Siehst ja
aus wie eine gebadete Katze. Bist du gerannt?“
„Um mein
Leben!“ Locke stolperte in die Diele. „Mach die Tür zu! Schließ ab! Mein Gott!“
Sie
schnappte nach Luft und lehnte sich an die Wand.
Kathie
blickte verstört. „Was... was ist denn?“
„Der Rote!
In der S-Bahn habe ich ihn erkannt. Und er mich. Er hat mich verfolgt. Steht
draußen. Wo ist dein Freund?“
„Wie?“
Kathie ließ den Mund offen. Er war wie immer kräftig geschminkt. Jetzt
leuchtete das Rot noch stärker, weil das übrige Gesicht zur Milchsuppe
erbleichte. „Der... der Rote? Der Verbrecher?“
„Er steht
an der Straße. Vielleicht kommt er. Ob dein Freund mit ihm fertig wird?“
„Wil...
Wilhelm... ist noch nicht da.“ Ihr blonder Kurzhaarschnitt schien sich zu
sträuben wie ein Igelfell, besonders im Nacken.
„Was? Noch
nicht da?“
Kathie
faßte sich. „Aber er muß jeden Moment hier sein. Locke, das ist ja ein Ding.
Mich... mich schaudert’s. Komm!“
Sie hatte
die Tür verriegelt“ lief jetzt in den Wohnraum voran und stellte sich hinter
die Gardine eines straßenseitigen Fensters.
Es lag
hochparterre (etwas höher als erdgeschossig). Aber das war kein
Hindernis. Ein Lahmer hätte hereinklettern können.
Sie spähten
durch die Gardine.
Der Regen
fiel noch dichter. Büsche gingen in die Knie. Blätter wurden abgefetzt. Die
Dachrinne lief über, so daß sich ein Wasserfall vor der Scheibe ergoß.
Aber sie
konnten zur Straße sehen.
Die Gestalt
war verschwunden.
„Er ist
weg.“ Locke preßte die Hände an den Busen. „Abgeschüttelt! Dem Himmel und
seinen Wassern sei Dank! Verbrecher sind feige. Sicherlich denkt er, er holt
sich einen Schnupfen. Und wie stünde er dann da — beim Überfall, wenn er
schneuzt und niest unter seiner roten Strumpfhosenmaske? Deshalb riskiert er
nichts und...“
„Dort!“
wurde sie von Kathie unterbrochen. „Bei der Eiche.“
Der
knorrige Baum stand jenseits der Straße, war Überbleibsel einer gerodeten
Waldfläche. Mochte der Himmel wissen — und vielleicht auch der Oberfrostrat —,
weshalb man ausgerechnet die Eiche verschont hatte.
An ihrem
Stamm, fast verschmolzen mit ihm, lehnte eine Gestalt.
„Das ist
er“, flüsterte Locke.
„Bist du
sicher?“ wisperte Kathie. „Man kann überhaupt nichts erkennen.“
„Wer soll
es denn sonst sein? Der Osterhase?“
„Ein
Wanderer“, Kathie suchte nach einem Hoffnungsstrahl. „Den der Regen überrascht
hat.“
„Nein. Es
ist der Rote. Er lauert. Wenn doch dein Wilhelm nur käme. Ist der immer so
unzuverlässig?“
„So...
genau kenne ich ihn noch nicht. Aber ich glaube nicht. Wir haben keine feste
Zeit ausgemacht.“
Locke
begann zu zittern. Nicht nur aus Angst. Ihre klatschnassen Textilien klebten
wie
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