Überfall nach Ladenschluß
dir treuer ergeben sein als ich.“
Leonessas
Hand fiel auf seine Schulter. Er schrie auf, als spüre er schon die Schlinge
seines Henkers. Auf den Knien rutschte er zum Schreibtisch.
„Chef“,
wimmerte er. „Was kann ich tun, um meine Schuld wieder gutzumachen?“
Cordone betrachtete
ihn wie ein ekliges Insekt. Sein Schurrbart zuckte, aber es wurde kein Grinsen
daraus.
„Du weißt,
was dich erwartet, du widerlicher Dieb.“
„Ja, ich
habe es verdient.“ Tränen liefen über Carezzos Gesicht. „Aber ich bitte um
Gnade.“
Cordones
Augen glitzerten.
„Mir kommt
eine Idee. Bei allen Heiligen, sie ist gut. Sie ist ein bißchen wie Russisches
Roulette (selbstmörderisches Spiel mit dem Revolver), denn es geht um
dein Leben. Ich werde mit dir wetten, Giuseppe Carezzo. Wenn du deine Aufgaben
löst, wirst du weiterleben. Wenn du sie nicht löst, wird Vittorio das
Todesurteil an dir vollstrecken. Dein Einsatz ist das Leben. Aber du hast eine
Chance.“
„Ja?“
Carezzos Stimme zitterte wie sein Körper.
„Finde den
Roten!“ sagte Cordone. „Bring ihn mir, tot oder lebend. Aber lieber wäre mir,
er würde noch leben. Es war Vittorios Aufgabe. Aber er hat es bis jetzt nicht
geschafft. Nun bist du dran. Und ich gebe dir zehn Tage Zeit. Die Frist beginnt
jetzt.“
Carezzo
mußte auch die Hände auf stützen. Vor seinen Augen verschwamm alles.
„Chef, wie
soll ich... Ich bin Kassierer... Ich... Nie habeich... Diese Aufgabe...“
„Zehn
Tage“, unterbrach ihn Cordone. „Und bilde dir nicht ein, du könntest abhauen.
Du weißt: Wir würden dich finden — im letzten Winkel der Welt.“
*
Gunter
schlief sich aus. Mike rumorte in seinem Zimmer. Locke hatte Mausi versorgt und
dann eine halbe Stunde in der Badewanne gesessen. Jetzt schob sie ihr
,Hirschkalb’ aus der Garage. Die Straße war sonntäglich leer und der Himmel
grau. Aber es sah nicht nach Regen aus.
Auf der
Schiefertafel war vermerkt, sie fahre mit Tom zur Marano-Tankstelle:
Klenzburger Straße 248. Allerdings war ihr Freund längst dort. Er nahm seinen
Tankwart-Job ernst, jedenfalls heute noch.
Während sie
zur Stadt hinaus rollerte, spulten ihre Gedanken zurück. Hinsichtlich des Roten
war die letzte Nacht eine Pleite gewesen. Aber der Mafia waren sie — vielleicht
— einen halben Schritt näher gekommen. Die Sache mit Carezzo gab Rätsel auf.
Warum behandelte man ihn so? Steckten nur die beiden Männer aus der Taifun-Bar
dahinter? Bestimmt nicht. Das waren wahrscheinlich nur Handlanger. Aber wer gab
die Befehle?
Die drei
mit dem Straßenkreuzer, dachte sie. Die sehen danach aus. Die wurden
rausgelassen, obwohl die Taifun-Bar geschlossen hatte. Also sind sie privat
dort gewesen. Und der Blonde wäre ihnen fast um den Hals gefallen.
Sie
benutzte den Radweg durchs Klenzburger Moos. Bei Tage konnte sie die Landschaft
genießen. Nur nachts war es hier unheimlich. Auf der Straße rollte der Verkehr;
und als sie die Tankstelle erreichte, hatten Tom und Carlo Marano kaum Zeit,
sie zu begrüßen.
„Ich will
Gina besuchen“, rief sie. „Sie ist doch da?“
„Sie hat
schon versucht, dich anzurufen“, antwortete Marano.
Gina ging
es wieder besser. Sie freute sich über Lockes Besuch.
„Eben habe
ich mit deinem Bruder telefoniert. Der ist aber nett. Er sagte was von einer
Tafel — und daß du schon unterwegs wärst.“
Locke
lachte und erklärte, was es mit der Tafel auf sich hatte. Sie saßen in Ginas
Zimmer. Aus der Küche roch es nach Kakao, den Gina gerade kochte. Er schmeckte
vorzüglich, und Locke trank zwei Tassen, obwohl sie ihr Frühstück — ein großes
Glas Milch mit Honig — gerade erst hinter sich hatte.
„Und
weshalb hast du angerufen?“
Gina
lächelte. „Erinnerst du dich an Dr. Eichhorn — mit dem wir im Trastevere am
Tisch saßen? Er hat so ein Teufelsgesicht.“
„Natürlich
erinnere ich mich. Es ist ja noch keine Ewigkeit her.“
„Er ist
ganz begeistert von euch. Und weil er meint, daß wir — also Sabrina und ich —
uns mit euch gut verstehen, hat er uns alle eingeladen. Dich, Tom, mich und
Sabrina. Für morgen abend, wenn ihr könnt.“
„Ich kann.
Und Tom kommt bestimmt.“
„Prima.
Weißt du, Dr. Eichhorn sorgt sich ganz rührend um uns. Um Gastarbeiterkinder
überhaupt. Er hat keine Familie und es sich zur Aufgabe gemacht, uns
Gastarbeiterkinder einzugliedern. Nicht nur, daß er uns kostenlos
Nachhilfe-Unterricht erteilt. Er fördert auch Kontakte untereinander, wo es
möglich
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