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Überfall nach Ladenschluß

Überfall nach Ladenschluß

Titel: Überfall nach Ladenschluß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Wolf
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Briefe an die Presse. Oder sollte ich das
gleich tun?
    Er wohnte
in einem teuren Appartementhaus, wo sich keiner um den Nachbarn kümmerte und
man sich nur gelegentlich im Lift sah. Diese Anonymität (Namenlosigkeit,
Unbekanntsein) war nach seinem Geschmack.
    Er fuhr in
die Tiefgarage, parkte in seiner Box, schloß den Wagen ab und ging zum Lift.
    Er wohnte
in der vierten Etage, straßenseitig, mit Blick auf einen Park, den die Städter
von früh bis abends bevölkerten. Rentner hielten bei schönem Wetter die Bänke
besetzt. Auf dem Rasen jagten sich Hunde. Radfahren war auf den Parkwegen
verboten — was in der Praxis bedeutete, daß sich Kinder und Jugendliche
Sechstagerennen lieferten. Die alten Leute schimpften, aber das änderte nichts.
    Im Bad
wusch sich Leonessa die Hände, ohne in den Spiegel zu sehen. Er hängte sein
Jackett in den Kleiderschrank und legte den Tascheninhalt auf den Tisch:
Papiertücher, Geldbörse, Schlüsselbund, zwei Schachteln Zigaretten,
Brieftasche... Er vermißte das Feuerzeug.
    Ärgerlich
suchte er alle Taschen ab. Aber es war nicht mehr da. Verloren! Schon das
dritte in diesem Monat.
    Sicherlich
— es war nur ein billiges Wegwerf-Produkt. Aber darauf kam es nicht an.
Verhängnisvoll war diese Zerfahrenheit, unter der er litt, seit er sich
erinnern konnte. Er kämpfte dagegen an, aber ohne Erfolg. Alle naselang verlor
er irgendwas. Entweder es fiel ihm aus der Tasche, oder er ließ es irgendwo
liegen. Wie das Streichholzbriefchen, das ihm — ohne daß er es merkte — bei dem
Überfall auf das Uhrenfachgeschäft aus der Tasche gerutscht war.
    Das hätte
schiefgehen können. Eine verdammte Panne! Und es schmeckte ihm gar nicht, daß
seine Macke die Kripo zur Taifun-Bar geführt hatte.
    Mit einem
Streichholz zündete er sich die nächste Zigarette an. Er war Kettenraucher. An
manchen Tagen schaffte er hundert Sargnägel — und redete sich ein, das wäre
seiner Gesundheit bekömmlich.
    Er schenkte
ein Glas Wein ein und setzte sich an den Tisch. Zwei Dutzend alte Zeitungen
lagen bereit, außerdem Schere, Pinzette, Kleister, Papier zum Aufkleben und
Umschläge.
    Er begann,
Papierschnipsel auszuschneiden: Worte und Silben, die er zu seinem Text zusammensetzte.
Sorgfältig vermied er Fingerabdrücke, indem er die Schnipsel und das Blatt nur
mit der Pinzette (kleine Greifzange) berührte.
    Dabei
rauchte er unablässig, trank aber nur das eine Glas Wein. Manchmal irrten seine
Gedanken ab. Der gestrige Überfall hatte nichts mit dem Komplott (Ränkespiel) gegen Cordone zu tun. Es war eine Fingerübung gewesen. Außerdem sollte nicht
der Eindruck entstehen, der Rote hätte es nur noch auf Mafia-Schutzgelder
abgesehen. Immerhin war Cordone nicht blöd. Bald würde er sich ohnehin fragen,
woher der Rote denn wußte, welche italienischen Wirte Schutzgeld entrichten
mußten. Deshalb war es nötig gewesen — nachdem er bei Carlo und Franco
abkassiert hatte — , einen andern Coup einzustreuen.
    Aber jetzt,
dachte er, ist wieder einer unserer Kunden dran: die Fattoria von Benito
Benitone.
     
    *
     
    Während
Marano einen Wagen abfertigte, lief Tom zum Wohnhaus und schärfte den Mädchen
ein, keinen Fuß vor die Tür zu setzen.
    Gina wurde
blaß. „Aber jetzt ist doch noch Zeit, die Polizei zu verständigen.“
    „Und was
würde passieren?“ meinte Tom. „Ein Streifenwagen käme. Er stünde in der
Einfahrt, und der Rote wäre gewarnt. Das nächste wäre dann, daß sich Hartmann
wirklich an euch rächt: an dir oder deinem Vater. Nein, jetzt müssen wir ihn
erwischen.“
    Auch Locke
war beunruhigt. „Er ist bewaffnet.“
    „Das ist ja
mein Vorteil, daß ich’s weiß. Kann ich auch eine Tasse Kakao haben?“
    Er war die
Ruhe selbst, trank, nachdem Gina ihm eingeschenkt hatte, und schnalzte mit der
Zunge.
    „Sonst mag
ich Kakao nicht. Aber der schmeckt.“
    Gina
errötete, als hätte er ihr ein galantes Kompliment gemacht.
    Tom verließ
das Haus. Die beiden Mädchen standen hinter der Gardine. Von hier konnte man
das Gelände der Tankstelle überblicken und einen großen Abschnitt der Straße.
    Wagen
rauschten vorbei: stadtwärts oder in Richtung Autobahn. Das Gebiet jenseits der
Straße gehörte noch zum Klenzburger Moos, war aber ziemlich kahl und wurde in
der Ferne vom Saum eines Waldes begrenzt.
    Es ging
jetzt auf Mittag. Schwüle lag in der Luft. Der Himmel war grau. Mückenschwärme
tanzten über feuchten Niederungen. Gereiztheit breitete sich aus. Die Nervösen
fuhren schneller als

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