Ueberflieger
der dunkleren bevorzugt behandelt. In der Kindheit bis hin zur Eheschließung werden die dunkleren Kinder versteckt, wenn Freunde der hellhäutigen oder hellhäutigeren Familienmitglieder zu Gast sind. Das hellhäutige Kind hebt den Farbstatus der Familie, und es darf nichts getan werden, das seinen Erfolg – also eine Heirat, die den Farbstatus der Familie weiter hebt – behindern könnte. Eine hellhäutige Person versucht beispielsweise, die gesellschaftlichen Beziehungen zu dunkelhäutigeren Verwandten abzubrechen … und die dunkleren Angehörigen einer schwarzen Familie unterstützen die Anstrengungen eines sehr hellhäutigen Familienmitglieds, als weiß durchzugehen. Diese innerfamiliären Praktiken legen den Grundstein für die gesellschaftliche Rassendiskriminierung.
Auch meine Familie war nicht gegen diese Vorurteile gefeit. Daisy war über Gebühr stolz darauf, dass ihr Mann hellere Haut hatte als sie. Dieses Vorurteil wurde natürlich auch gegen sie verwendet: »Daisy ist nett«, sagte ihre Schwiegermutter. »Aber sie ist zu dunkel.«
Für eine der Verwandten meiner Mutter (nennen wir sie Tante Joan) war Hautfarbe ebenfalls ein großes Thema. Sie war »weiß und hell«, ihr Mann hatte dagegen dunkle Haut und glattes und feines schwarzes Haar und war das, was man auf Jamaika einen »Indianer« nennt. Die Töchter der beiden kamen dem Vater nach und waren dunkelhäutig. Eines Tages, kurz nach dem Tod ihres |249| Mannes, fuhr Tante Joan mit dem Zug, um ihre Tochter zu besuchen. In ihrem Abteil lernte sie einen hellhäutigen Herrn kennen, der ihr gut gefiel. Jahre später und noch immer voller Scham erzählte Tante Joan meiner Mutter, was dann passierte: Als sie aus dem Zug ausstieg, ging sie grußlos an ihrer Tochter vorüber und verleugnete ihr eigen Fleisch und Blut, weil sie nicht wollte, dass ein derart hellhäutiger und begehrenswerter Mann erfuhr, dass sie eine so dunkelhäutige Tochter hatte.
In den Sechzigerjahren veröffentlichte meine Mutter ein Buch mit dem Titel
Brown Face, Big Master
, in dem sie ihre Erfahrungen beschrieb. »Brown Face« ist sie selbst, und »Big Master« meint im jamaikanischen Englisch Gott. In einem Kapitel beschreibt sie, wie sie kurz nach ihrer Heirat mit meinem Vater und meinem ältesten Bruder, der damals noch ein Baby war, in London lebte. Die junge Familie war lange auf der Suche nach einer Wohnung, bis mein Vater schließlich in einem Londoner Vorort fündig wurde. Doch als sie einziehen wollten, schlug ihnen die Vermieterin die Tür vor der Nase zu. »Sie haben mir nicht gesagt, dass Ihre Frau Jamaikanerin ist«, rief sie zornig.
In ihrem Buch beschreibt meine Mutter ihren Versuch, diese Erniedrigung zu verstehen und mit ihrem Glauben in Einklang zu bringen. Schließlich musste sie anerkennen, dass sie mit ihrem Zorn nicht weiterkam und dass sie als farbige Jamaikanerin, deren Familie über Generationen hinweg von der Rassenhierarchie profitiert hatte, kaum einen Grund hatte, die Vermieterin dafür zu kritisieren, dass sie andere Menschen nach ihrer Hautfarbe beurteilte:
Ich klagte Gott mein Leid: »Sieh mich, eine erniedrigte Vertreterin der schwarzen Rasse in ihrem Kampf um Freiheit und Gleichberechtigung mit den herrschenden Weißen!« Doch Gott war amüsiert, mein Gebet erschien ihm unehrlich. Also versuchte ich es ein weiteres Mal. Da erwiderte Gott: »Hast du dich nicht genauso verhalten? Erinnere dich an die Menschen, die du gering geschätzt, gemieden oder weniger freundlich behandelt hast als andere, nur weil sie äußerlich anders waren als du und weil du dich |250| geschämt hast, mit ihnen gleichgesetzt zu werden. Warst du nicht froh, dass du weniger farbig warst als sie? Warst du nicht dankbar, dass du nicht schwarz bist?« Mein Zorn und Hass auf die Vermieterin legte sich. Ich war nicht besser als sie, aber auch nicht schlechter … Wir hatten uns beide der Sünde der Selbstsucht und des Stolzes schuldig gemacht und begegneten einigen Menschen mit Zurückweisung.
Es ist nicht einfach, derart ehrlich mit unserer Herkunft umzugehen. Es wäre sehr viel einfacher gewesen, wenn meine Mutter ihren Erfolg als Befreiung aus ihrer Opferrolle geschildert hätte. Genauso wäre es einfacher, Joe Flom als den größten Anwalt aller Zeiten zu rühmen, obwohl seine Leistungen untrennbar verbunden sind mit seiner Herkunft, seiner Generation, den besonderen Umständen der Textilindustrie und den Vorurteilen der alteingesessenen Anwaltskanzleien. Bill Gates
Weitere Kostenlose Bücher