Ueberleben als Verpflichtung - den Nazi-Moerdern entkommen
Jerusalem und um den Flughafen Lod aufgezogen waren, waren die Ursache dafür. Zwar bestanden seit 1965 diplomatische Beziehungen zwischen Israel und der Bundesrepublik. Doch die spielten sich auf diplomatischem Parkett ab, entfernt von Zuschauern, den Überlebenden, den Zweiflern, den Gegnern auch dieses neuen Deutschlands. Gewiß, hier kam Willy Brandt, ein Mann, dem man eigentlich Vertrauen entgegenbringen konnte. Er hatte gegen die Nazis gekämpft und später in der Emigration gelebt. Im Dezember 1970 hatte er in Warschau am Mahnmal vor dem ehemaligen Getto einen Kranz niedergelegt und in Demut vor den jüdischen Opfern niedergekniet. Das war mehr, als man von einem deutschen Kanzler erwarten konnte. Dieser Mann kam nach Israel und sprach im Namen Deutschlands, eines neuen Deutschlands, wie so oft vorgegeben wurde, und das dennoch seine Vergangenheit nicht abstreifen konnte.
Vom ersten Moment an ließ Brandt keine Zweifel darüber aufkommen, welche Art der Beziehungen er für beide Länder voraussah. Er sagte: „Sie haben den Kanzler deutscher Staatlichkeit eingeladen. Das heißt, Sie stellen der Macht der Vergangenheit den Anspruch der Gegenwart gegenüber. Ich glaube, die Menschen wären in der Tat verloren, wenn es nicht diesen Mut zum neuen Anfang gäbe.“ In ihrer Antwort gab die israelische Regierungschefin Golda Meir zu verstehen, daß auch sie den Besuch Brandts als die Einleitung zu einem neuen Anfang der Beziehungen beider Länder ansehe: „Sie haben als einer der ersten gesagt, daß Geschehenes nicht ungeschehen gemacht werden kann, aber daß man auch nicht vergessen kann. Dieses Wort hat Wunder gewirkt und es uns und Ihnen ermöglicht, uns zu erinnern. Wir können nur im Bewußtsein der vergangenen Ereignisse aus der Gegenwart in eine hoffnungsvolle und bessere Zukunft blicken.“
In der nationalen Gedenkstätte Israels, Yad Vashem, in der das ewige Feuer brennt und Urnen mit Asche von Opfern aus verschiedenen Konzentrationslagern in den Fußboden eingelassen sind, war zum ersten Mal die deutsche Sprache zu hören. Hunderte von Journalisten aus aller Welt wurden Zeugen dieses historischen Ereignisses, als der deutsche Kanzler Verse aus einem Psalm vorlas. Zwar sprach der Kanzler mit fester Stimme, doch die Erregung war ihm anzumerken. Eine Erregung, die sich auch auf mich übertrug. Ja, ich glaubte an die Ehrlichkeit dieses Mannes. Und dennoch hatte ich Mühe, mich in meiner Berichterstattung nicht von meinen Erfahrungen im Nachkriegs-Deutschland leiten zu lassen. Nahe der Erinnerungsstätte, in der die Zeremonie ablief, wußte ich die Bäume, die einige meiner Retter als Dank für ihr Opfer im „Hain der Gerechten“ hatten pflanzen dürfen. Das half mir.
Es war Volker Ludwig, der Leiter des Berliner „Grips Theaters“, der mit seinem Entschluß, aus meinem Buch „Ich trug den gelben Stern“ ein Theaterstück zu machen, mein viertes Leben einläutete. Im Februar 1989 hatte „Ab heute heißt du Sara“ Premiere. Inzwischen ist es von 37 deutschen Bühnen gespielt worden, im „Grips Theater“ selbst steht jetzt die 300. Vorstellung auf dem Programm. In mehr als dreißig Schulen der Bundesrepublik führten Schüler bisher das Stück oder Szenen daraus auf, eine Zahl, die ständig steigt. Ich erinnere mich an die ersten Proben, an denen ich teilnahm. Als ich meine Mutter auf der Bühne sagen hörte: „Wir sind Juden, Inge. Für die Nazis sind wir ihre Feinde“, da glaubte ich, es nicht mehr aushalten zu können. Ich mußte wieder einmal begreifen, wie tief die Erfahrungen der Verfolgung, der Flucht, der Verlust lieber und liebster Menschen sitzen, wie wenig sie zu verarbeiten sind. Auch wenn man annimmt, nach über 50 Jahren davon frei zu sein. Im stillen haderte ich mit mir, schalt mich einen Feigling, der nicht begriffen hatte, daß Volker Ludwig mit seinem Stück das Gleiche bewirken wollte wie ich, nämlich der Jugend zu zeigen, was damals geschah und was Menschen anderen Menschen angetan haben, nur weil sie angeblich anders waren als die Deutschen, und daß diese Denkweise zu den bestialischsten aller Morde führte. Langsam wich mein anfänglicher Schock und machte einem Gefühl des Vertrauens Platz, das durch den Kontakt zu den meist jungen Schauspielern entstand und wuchs. „Ab heute heißt du Sara“ ist in Berlin immer noch ständig ausverkauft. 80 % des Publikums sind junge Leute. Ich gehe öfter ins Theater, um die Reaktion dieses Publikums zu beobachten. Es fasziniert mich
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