Ueberleben als Verpflichtung - den Nazi-Moerdern entkommen
Augen, die neugierig in die Welt guckten.
Kurz, er war der Typ eines jungen Mannes, dem manches junge Mädchen sehnsuchtsvoll hinterherblickte. Kein Wunder, daß ich auf diese Eroberung – meinen ersten Freund – sehr stolz war.
Gerd und ich hatten uns auf dem Sportplatz Eichkamp kennengelernt. Einmal im Jahr veranstalteten die jüdischen Schulen Berlins dort ein Sportfest. Mannschaften der verschiedenen jüdischen Schulen kämpften um wertlose, aber begehrte Trophäen. In der Erinnerung sind diese Sportfeste die schönsten Tage meiner Schulzeit. Alles Bedrückende, das auf uns lastete, war dort wie weggeblasen. Wenn wir allerdings zur Rückfahrt in die Schule in die S-Bahn einstiegen, war diese gelöste Atmosphäre ebenso schnell wieder verflogen. Auch wenn wir nicht darüber sprachen, wir ahnten, daß wir von den anderen Fahrgästen als jüdische Kinder erkannt und angepöbelt werden konnten. Schließlich schürte das nationalsozialistische Regime, das seit 1933 im Amt war, Haß gegen Juden, nannte sie Verbrecher, Kriminelle, Insekten, die man zertreten müsse.
Seit diesem Sportfest fuhren Gerd und ich jeden Tag nach Schulschluß mit der S-Bahn zwischen Bahnhof Börse (heute Hackescher Markt) nahe unserer Schule und Savignyplatz, der meinem Zuhause am nächsten gelegenen Station, hin und her. Zwar war auch das begrenzt. Meine Mutter wußte genau, wann ich aus der Schule zu Hause sein müßte. Mit Ausnahme der Tage, an denen wir hitzefrei hatten, und die waren selten. Meine Mutter sah meine Beziehung zu Gerd nicht gern. Sie kannte ihn nicht und legte auch keinen Wert darauf, ihn kennenzulernen. Sie fand nur, daß man in solchen Zeiten, in denen Juden Freiwild für Verfolgungen und Diskriminierungen sind, am besten und am sichersten zu Hause aufgehoben war. Möglichkeiten „auszugehen“ waren Juden ohnehin verwehrt. Darunter fielen Besuche ins Theater, ins Kino, ins Konzert, ins Museum. An den meisten Cafés hingen Schilder mit der Aufschrift „Juden unerwünscht“. Manchmal war die Sprache noch drastischer. Das Strandbad Wannsee war die erste Badeanstalt in Berlin, die uns den Eintritt untersagte. So blieb Gerd und mir nur die S-Bahn als einziger Treffpunkt, wo wohl aus der Situation heraus mehr Zärtlichkeiten ausgetauscht wurden, als nach einer so kurzen Bekanntschaft üblich war.
Eines Tages hielt ich vergebens Ausschau nach Gerd. Ich hörte von einem Klassenkameraden, er sei ganz plötzlich nach Shanghai abgereist, einem der wenigen Orte in der Welt, in die Juden damals noch einreisen durften. Die meisten Länder hatten ihre Grenzen längst geschlossen oder setzten finanzielle Bedingungen für eine Einwanderung fest, die kein deutscher Jude mehr erfüllen konnte. Gerd habe seine Mutter beschworen, mit ihm zu gehen, so erzählte man mir. Der nichtjüdische Vater hatte die Mutter bis zu seinem Tode vor der Verfolgung als Jüdin beschützen können. Damit war es danach vorbei. Und trotzdem lehnte die Mutter es ab, Berlin zu verlassen.
So war der 16jährige allein in das unbekannte China gefahren. Er habe dort als Zauberer gearbeitet, ein Hobby seiner Kindheit.
In Nachtlokalen und Bars fand er Beschäftigung. So schrieb er mir fast fünfzig Jahre später aus Berlin nach Tel Aviv. Mein Buch „Ich trug den gelben Stern“ in der Auslage eines Buchladens in Berlin hatte ihm den Weg zu mir gewiesen.
Wir trafen einander wieder, im Berlin der neunziger Jahre. Seine Haare waren schlohweiß geworden. Ein kleiner Spitzbart in der gleichen Farbe sollte wohl den Künstler, als den er sich empfand, unterstreichen. Seine blauen Augen strahlten nicht mehr. Mit seiner Körperfülle paßte er gerade noch in mein kleines Auto. Mich betrachtend, sagte er nur, er sei wirklich stolz darauf, daß er mit 16 Jahren schon einen so guten Geschmack bewiesen habe.
Die Lebensbedingungen in Nazi-Deutschland brachten es mit sich, daß ich Gerd bald vergaß. Nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges im Jahr 1939 nahmen die Nazis keine Rücksicht mehr auf die Reaktionen des Auslands auf ihre Politik. Sie verfolgten, diskriminierten, quälten jüdische Menschen fast täglich mit neuen Verboten, Anordnungen, Gesetzen. Sie erklärten Juden zum Abschaum der Menschheit, schuldig an allen Unbilden, die der Welt widerfahren waren.
Es war der 19. September 1941, an dem wir das erste Mal gezwungen waren, einen „Judenstern“ zu tragen. Ich fürchtete mich vor der Reaktion der Berliner. Aber sie blieb aus. Ich hatte allerdings mein eigenes
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