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Ueberleben als Verpflichtung - den Nazi-Moerdern entkommen

Ueberleben als Verpflichtung - den Nazi-Moerdern entkommen

Titel: Ueberleben als Verpflichtung - den Nazi-Moerdern entkommen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inge Deutschkron
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dennoch zu deportieren, mußte aufgegeben werden. Im Zuge der sogenannten „Fabrikaktion“ Ende Februar/März 1943 waren auch sie bereits verhaftet worden. Aber mehr als 200 „arische“ Ehefrauen und Angehörige demonstrierten über eine Woche lang vor dem Sammellager in der Rosenstraße und erwirkten die Freilassung ihrer jüdischen Angehörigen. Ein Aufbegehren gegen das Naziregime, das in Deutschland einmalig blieb.
    Nach der Befreiung am 8. Mai 1945 suchte meine Mutter die beiden Jungen und fand ihre Spuren in dem ehemaligen jüdischen Waisenhaus in Berlin-Niederschönhausen. Ihr Vater, von dessen Überleben wir auf diese Weise erfuhren, hatte sie einen Tag zuvor von dort abgeholt. Willy hatte sieben Jahre im KZ Buchenwald zubringen müssen, wo er neben schwerster Arbeit auch noch medizinischen Experimenten ausgesetzt war. Dennoch ließ er sich in Weimar, nur wenige Kilometer von seiner Folterstätte entfernt, nieder. Seine Jungen, die nie ein Familienleben kennengelernt hatten, schickte er nach kurzer Zeit nach Palästina mit der Begründung, sie würden in Deutschland keine Zukunft haben. Dort wuchsen sie in einem Heim auf. Die Sehnsucht nach einer Familie ließ vor allem den Jüngsten nie los. Er war einer der ersten, mit einem israelischen Paß, der eine Einreiseerlaubnis in die DDR erhielt, um den Vater wiederzusehen. Er suchte aber auch nach seiner Mutter, an deren Tod er nicht glauben wollte. Und tatsächlich, so sein Bericht, fand er sie in Westdeutschland. Sie aber wollte ihn nicht wiedersehen, wohl auch nicht an ihn erinnert werden. Sie empfing ihn nicht. Es ist heute nicht mehr feststellbar, ob die Mutter damals ihren Tod vorgetäuscht hatte, um sich aus Angst der Kinder mit dem jüdischen Makel zu entledigen, oder ob die Information über ihren Tod nur der jüdischen Großmutter galt, um alle Kontakte abzubrechen, oder ob der Sohn einer Halluzination erlag.
    Trotzdem dieser Sohn in Israel eine eigene Familie gegründet und auch schon Enkelkinder hat – ähnlich wie sein älterer Bruder –, hat er nie wieder seine Ruhe gefunden. Mal wollte er wieder in Deutschland zu Hause sein. Dann wieder zog es ihn nach Israel zurück. Vor einigen Jahren starb er in Israel.

Die deutsche Gesellschaft in der Nachkriegszeit
Mit den Jahren wuchsen die Zweifel
    Kaum war ich 1946 in England angekommen, da sprach ich schon vor englischem Publikum über die Not und das Elend des besiegten deutschen Volkes. Das Naziregime, dem so viele Deutsche zunächst willig gefolgt waren, teils aus Naivität, teils weil sie sich von diesem neuen Regime persönliche Vorteile versprachen, und das sie dann in schreckliche Verbrechen verstrickte, war untergegangen. Ich war überzeugt, daß die Deutschen nun zum Rechtsstaat und zur Menschlichkeit zurückkehren würden.
    Wir waren in der Nazizeit als Juden verfolgt worden. Meinem Vater gelang wenige Monate vor Kriegsausbruch die Flucht nach England. Wie alle Juden wurden meine Mutter und ich bei Beginn des Zweiten Weltkrieges Gefangene des Nazistaates und damit fast täglich neuen Verfolgungen ausgesetzt. Der „gelbe Stern“, mit dem wir ab September 1941 gezeichnet wurden, machte uns zu Spießrutenläufern. Allerdings gab es in Berlin immer wieder Menschen, die uns heimlich Hilfe leisteten. Wenige zwar, denn Mut und Zivilcourage waren rar geworden in einem Staat, der dafür mit Jahren im Konzentrationslager drohte.
    Im Oktober 1941 begannen die Nazis, jüdische Menschen „in den Osten“ zu deportieren, wie wir es nannten, in Unkenntnis des wahren Ziels. Wir wollten auch nicht glauben, daß dies den Tod bedeuten könnte, und hielten entsprechende Meldungen, die von ausländischen Sendern verbreitet wurden, für Gerüchte. Erst als uns eine Berliner Geschäftsfrau berichtete, ein Bekannter habe als Soldat in Polen gesehen, „was sie dort mit den Juden machen“, wurde das eigentlich Unfaßbare glaubhafter. Die gleiche Frau bot uns ein Versteck an, wollte nicht untätig bleiben, wenn Menschen ihrer Herkunft wegen ermordet werden sollten. Ihrem Beispiel folgten andere Berliner, die dem Hitler-Regime von Anfang an feindselig gegenüberstanden.
    Zwei Jahre und vier Monate waren meine Mutter und ich auf der Flucht, von einem Versteck zum anderen, mit der steten Angst im Nacken, keine Zuflucht mehr zu finden, zu verhungern oder von den Nazis erwischt zu werden. Wir verdanken 20 Berliner Familien unser Überleben. Ihnen war die Rettung von Menschenleben oberstes Gebot. Sie waren ganz

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