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Ueberleben als Verpflichtung - den Nazi-Moerdern entkommen

Ueberleben als Verpflichtung - den Nazi-Moerdern entkommen

Titel: Ueberleben als Verpflichtung - den Nazi-Moerdern entkommen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inge Deutschkron
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dem Osten“, wie wir in Unkenntnis des wahren Zieles zu sagen pflegten, begonnen. Erich blieb für immer verschwunden.
    Jedes Mal, wenn Hans mich berührte, zuckte ich zusammen und rückte von ihm ab. Hans Rosenthal war mein erster Freund, den ich zu lieben glaubte. Er war 39 Jahre alt – also 19 Jahre älter als ich –, unverheiratet und lebte mit seiner Mutter zusammen. Ich hatte ihn 1942 in der Blindenwerkstatt Otto Weidt, Rosenthaler Straße 39, kennengelernt, wo ich während der Jahre 1941 bis 1943 arbeitete. Otto Weidt war einer der wenigen Arbeitgeber in Berlin, von dem insgeheim bekannt war, daß er Juden gut behandelte und ihnen half, wo und wie er nur konnte. Er haßte die Nazis. Hans, den er als Materialverwalter der Jüdischen Gemeinde kannte, belieferte er mit Besen und Bürsten. Sie waren für die verschiedenen Einrichtungen der Jüdischen Gemeinde bestimmt.
    „Wenn alles vorbei ist, dann heiraten wir doch“, so pflegte ich Hans zu vertrösten, „und wandern nach Amerika aus“, fügte er hinzu. Sicher könne er dort wieder als Ingenieur arbeiten wie vor 1933 in der Glühbirnenfabrik Osram im Berliner Wedding.
    Hans insistierte nicht. Er war ein ruhiger und besonnener Mensch, der nicht nur so aussah, als könne er keiner Fliege ein Leid antun. Er war groß und schlank mit linkischen Bewegungen, die Unsicherheit ausdrückten. Er hatte ein freundliches Gesicht, das stets zum Lächeln bereit schien, ein Eindruck, den der tiefe Einschnitt in seinem Kinn noch verstärkte. Wenn er anderen zuhörte, war sein Mund meist einen Spalt geöffnet. Er konnte auch hell auflachen, und er tat dies bei jeder sich bietenden Gelegenheit. Dabei zog er die eine Schulter etwas hoch wie eine Geste der Entschuldigung für seinen plötzlichen Gefühlsausbruch.
    Hans und ich trafen meist an Sonntagen zum Kaffee bei seiner oder meiner Mutter zusammen. Andere Möglichkeiten hatten wir nicht. Wir mußten ohnehin ab zwanzig Uhr abends bis morgens um sechs Uhr zu Hause sein. Die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel war nur für den Weg zum Arbeitsplatz zugelassen. Unsere Telefone waren abgeschaltet worden. Glücklicherweise wohnten wir nicht weit voneinander. So blieb uns nur, unter dem Kaffeetisch Händchen zu halten oder uns verstohlen zu küssen, wenn die Mutter das Zimmer verließ, um den Kaffee zu holen.
    Ein Freund bot uns schließlich sein Zimmer an, in dem wir ab und zu am Tag allein sein konnten. Obwohl ich die Stunden herbeisehnte, flößte mir der mit wenigen alten Möbeln ausgestattete Raum Unbehagen ein. Einmal sprach Hans ganz offen mit mir über körperliche Beziehungen. Aber ich weinte nur und bat ihn inständig, mich in Ruhe zu lassen. Meine Sinne waren auf nichts anderes als auf die Abwehr von Gefahren eingestellt. Meine Nerven waren ständig zum Zerreissen gespannt. Immer wenn wir uns trennten, weinte ich vor Angst, er würde wie die anderen ohne mein Wissen deportiert, und ich würde ihn nie wiedersehen. Ich weinte und weinte und klammerte mich an ihn.
    Meine Mutter machte keinen Hehl daraus, daß ihr meine Verbindung zu Hans nicht recht war. Eifersucht war sicher einer der Gründe dafür, denn sie verstand wohl besser als ich, daß der so viel ältere Hans eine Art Vaterersatz für mich war und mir den Halt gab, den sie mir nicht geben konnte. Sie fürchtete auch, und das sprach sie auch aus, daß ich Hans heiraten und sie allein „in den Osten“ deportiert werden würde – mit einem unbekannten Ziel. Während Hans, als verdienter Funktionär der Jüdischen Gemeinde, mit mir in das sogenannte Vorzugslager Theresienstadt eingewiesen würde.
    Nichtjüdische Freunde meiner Eltern, die von dem schrecklichen Morden jüdischer Menschen aus ausländischen Rundfunksendern und von deutschen Soldaten erfahren hatten, beschworen uns, uns mit ihrer Hilfe zu verstecken. So geschah es dann auch.
    Den Kontakt zu Hans hielt ich aufrecht, der uns vor bevorstehenden Aktionen der Gestapo warnte. Er selbst wurde dreimal abgeholt und wieder freigelassen. Die Gestapo wußte um seine guten Beziehungen zu Berliner Grossisten und zwang ihn, sie mit Mangelware zu versorgen. Die Grossisten verstanden sehr wohl, daß das Leben des Juden Hans Rosenthal von derartigen Lieferungen abhing.
    Wir überlebten. Hans und seine Mutter im Jüdischen Krankenhaus, das die Gestapo in ein Gefängnis umgewandelt hatte. Meine Mutter und ich in verschiedenen Verstecken in und um Berlin. Hans erinnerte mich an unsere Gespräche für eine gemeinsame

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