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Ueberleben als Verpflichtung - den Nazi-Moerdern entkommen

Ueberleben als Verpflichtung - den Nazi-Moerdern entkommen

Titel: Ueberleben als Verpflichtung - den Nazi-Moerdern entkommen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inge Deutschkron
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nicht mehr leugnen können.
    Natürlich hat es unter den Deutschen Menschen gegeben, die ähnlich wie ich sich gegen die unwürdige Politik der Bundesregierungen in den ersten 20 Jahren nach der Staatsgründung wandten. Es handelte sich dabei meist um Menschen, die unter dem Hitler-Regime ihrer politischen Haltung wegen gelitten hatten. Sie waren viel zu müde nach den schrecklichen Jahren und zu enttäuscht, um den Kampf gegen diesen die Bundesrepublik beherrschenden Trend aufzunehmen.
    Nein, diese Bundesrepublik konnte nicht mehr mein Land sein. Im Jahr 1972 wanderte ich nach Israel aus. Ich glaubte, damit den Schlußstrich gezogen zu haben zu dem Land, in dem ich geboren wurde, meine Familie ausgerottet worden war und es nur wenige Anzeichen dafür gegeben hat, daß man ehrlich gewillt war, sich mit der schrecklichen Vergangenheit auseinanderzusetzen und dafür die volle Verantwortung zu übernehmen.
    Dennoch, nachdem das Berliner „Grips Theater“ 1989 das Stück „Ab heute heißt du Sara“, das auf meiner Autobiographie beruht, auf seine Bühne brachte, ließ ich mich dazu überreden, vor Berliner Schülern über meine Erfahrungen unter dem Naziregime zu reden. Ich fand im allgemeinen junge Menschen vor, die sehr interessiert zuhörten und frei und offen mit mir diskutierten. Ich tue diese Arbeit noch immer im Glauben, auf meine Weise mitzuhelfen, daß eine ähnliche Entwicklung wie in den dreißiger Jahren verhindert werden kann. Meine Haltung zu Deutschland hat dies nicht verändert. Zu tief sitzt die Enttäuschung über die in den ersten Nachkriegsjahren übliche Mißachtung der schrecklichen Leiden, die Deutsche Menschen wegen deren Hautfarbe, Religion oder politischer Gesinnung angetan haben. Überdies kann ich Zweifel an der Zukunft dieses Landes nicht verhehlen, in dem es wieder eine Bewegung junger Menschen gibt, die auf brutalste Weise gegen andere, ihnen nicht genehme Menschen vorgeht, und Regierungen, die ihnen nicht durch Verbote Einhalt gebieten.
Die Kistenparty
    Natürlich enthielten sie Träume, verbargen sie Hoffnungen, nahmen sie Tränen mit sich – diese Holzkisten, auf denen meine Gäste aus Mangel an anderen Sitzgelegenheiten Platz genommen hatten. Große und kleine Kisten aus rohem, ungeschminktem Holz standen lässig in meinem einstigen Wohnzimmer in der Parterrewohnung des Hochhauses Oppelner Str. 31 in Bonn-Tannenbusch herum. In den formativen Jahren der provisorischen Hauptstadt ihr erster oder letzter Wohnbezirk, je nachdem, ob man aus Köln kam oder aus Bad Godesberg. Seine Bewohner, meist kleine Angestellte beim Bund, die, eingewiesen von Amts wegen, dankbar waren für diese Unterbringung in phantasielosen Hochhäusern in der noch an Wohnungen armen Stadt. Es gab dort nichts Spektakuläres, nichts Erfreuliches, nichts, was wenigstens dem Auge Frieden schenkte und, meiner Erinnerung nach, nicht eine einzige Tanne.
    In den frühen Morgenstunden hasteten Menschen wie graue Mäuse durch den Wind zu ihren Schreibtischen im Regierungsviertel. Danach kehrte wieder Stille ein in Tannenbusch, vollkommene Stille. Am Abend kehrten sie zurück, zielstrebig ihren Behausungen zu und schlossen die Türen fest hinter sich. Das triste Leben in Tannenbusch, dessen Name nicht unpassender hätte sein können, war wieder zur Stille verdammt. Nur einmal störte ein Schreck sie auf. Sie sprachen miteinander, teilten ihre Vermutungen dem anderen mit, lauschten begierig seiner Version des Geschehens. Das war, als die Inhaber eines kleinen Schreibwarengeschäftes in ihrer Mitte als Spione des Ostens enttarnt worden waren. Kleine Leute, ähnlich den Bewohnern dieses Bezirks, die offenbar den Auftrag gehabt hatten, aus ihresgleichen politischen Honig zu saugen.
    Die Holzkisten verrieten nichts, nichts, was von mir in ihnen Platz gefunden hatte, noch, wohin ich mit ihnen zu fahren gedachte. Sie trugen fortlaufende Nummern. Das war alles. Sie machten den Eindruck, als ergäben sie sich in ihr Schicksal, das sie mit mir zu teilen gewillt sein mußten. Und da sie so herumstanden, boten sie sich als Sitzgelegenheiten an. Der Anlaß verbot den Wunsch nach bequemerer Sitzart.
    Und die, die auf den Kisten saßen, wußten nicht so recht, ob sie mich bewundern sollten für das, was sie meinen Mut nannten, nun im Alter von fünfzig Jahren mein Glück in Israel zu versuchen, oder ob Mitleid nicht mehr am Platze war, da ich mich dazu gezwungen fühlte, Deutschland wieder zu verlassen und einer unvorhersehbaren Zukunft

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