Ueberleben als Verpflichtung - den Nazi-Moerdern entkommen
gewöhnliche Menschen, die ihrem Weltbild entsprechend Großes taten, ohne sich dessen bewußt zu sein. Sie bewiesen tagtäglich ihr Heldentum. Ungeachtet des eigenen Risikos halfen sie, sprachen uns Mut zu, gaben uns Hoffnung, wenn uns alle Auswege versperrt schienen. Der Staat Israel hat ihnen dafür gedankt – nicht die Bundesrepublik Deutschland. Die Erfahrung mit diesen Menschen hat viel damit zu tun, daß ich dem nach dem Krieg entstehenden deutschen Staat Vertrauen entgegenbrachte. Als ich Mitte der fünfziger Jahre beschloß, in die Bundesrepublik zurückzukehren, war ich ganz sicher, daß diese Menschen oder Menschen dieses Typs in der Führung des neuen Deutschlands eine entscheidende Rolle spielen würden.
„Vergessen Sie das doch! Das ist doch schon so lange her!“, die Reaktion der einen. „Sie müssen doch vergeben können!“, die Reaktion der andern. Das waren Aufforderungen an mich, wenn ich in Bonn mein Befremden, ja mein völliges Unverständnis darüber ausdrückte, daß in manchen Ministerien ehemalige Mitglieder der NSDAP zahlreicher vertreten waren als im Dritten Reich. Und unter ihnen einige, die am Mord von Juden oder politischen Gegnern des Naziregimes direkt oder indirekt beteiligt gewesen waren. Man konnte meinen, daß die, die in Bonn Verantwortung trugen, in keiner Weise betroffen waren von den nun im Detail bekanntwerdenden Verbrechen, die Deutsche begangen hatten. Es schien sie auch nicht zu interessieren, daß das Naziregime einen Weltkrieg vom Zaun gebrochen hatte, in dem 55 Millionen Menschen ihr Leben lassen mußten, und daß sie dafür Mitverantwortung trugen. Sie fanden es offenbar völlig in Ordnung, daß selbst diese für die Verbrechen mittelbar oder unmittelbar Verantwortlichen nun am Aufbau einer von den Siegermächten verordneten Demokratie mitwirkten. Ihre Diagnose meiner Einwände: „Die Deutschkron leidet an Naziphobie!“ Und ich? Ich sah Bilder vor mir, Bilder aus jenen Tagen, als sie Menschen aus ihren Wohnungen holten, sie auf einen Lastwagen schleiften und davonfuhren mit unbekanntem Ziel – für immer.
Ich arbeitete als Deutschland-Korrespondentin der israelischen Zeitung „Maariv“ in Bonn und konnte den Kontakt zu Politikern und Staatsbeamten mit brauner Weste nicht meiden. Noch heute schaudere ich bei der Erinnerung, daß ich mit Leuten sprechen mußte, wie zum Beispiel einem hohen Beamten des Wirtschaftsministeriums, der mir freiwillig und dazu noch schmunzelnd berichtete, er habe in jenen Jahren jüdisches Eigentum beschlagnahmt. Oder daß ich Auskünfte einholen mußte vom Direktor des Deutschen Bundestages, der in der Verwaltung des berüchtigten Ghettos Lodz tätig gewesen war. Sein Assistent behauptete mir gegenüber, sein Chef habe das Ghetto nie betreten und wisse daher auch nicht, wie es darin ausgesehen habe. Den langjährigen Staatssekretär im Bundeskanzleramt, Dr. Hans Globke, als Staatssekretär Kanzler Adenauers rechte Hand, mied ich, obwohl er seiner Funktion nach für meine Arbeit eine wichtige Quelle gewesen wäre. Er hatte 1935 als Oberregierungsrat im Innenministerium die Einführung zu den Kommentaren zur deutschen Rassengesetzgebung mitverfaßt, die als „Nürnberger Gesetze“ in die Geschichte eingegangen sind. Sie wurden zur ideologischen Grundlage der nazistischen Rassenpolitik, die schließlich zur Ermordung der Juden führte.
Globke wurde zum Symbol dafür, daß der Geist des Nationalsozialismus zumindest die ersten 20 Jahre der Bundesrepublik beeinflußte. Seine Existenz und Stellung in Bonn machte es den ehemaligen Mitstreitern des Nationalsozialismus leicht, ohne die geringsten Hemmungen Posten in der Verwaltung und Führung der damaligen Bundesrepublik zu übernehmen und so zu tun, als sei das Dritte Reich durch nichts anderes belastet als durch den verlorenen Zweiten Weltkrieg. Und die Liste der alten Nazis, die in hohe Funktionen in Bonn berufen wurden, ist lang. Was den damaligen Kanzler Dr. Konrad Adenauer, der in der Nazizeit in jeder Hinsicht integer gewesen war, bewogen hat, sich auf diese Diener des Unrechtsstaates zu stützen, vermag ich nicht zu sagen.
Es ist auch kein Zufall, daß Adenauer die Schuld des deutschen Volkes am Mord an den Juden jahrelang zu erwähnen unterließ. Dr. Herbert Blankenhorn, ein enger Vertrauter Adenauers, erklärte mir, daß dazu erst die psychologische Basis im deutschen Volk hätte vorbereitet werden müssen, damit das deutsche Volk den Bemühungen der Regierung zur Versöhnung
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