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Ueberleben als Verpflichtung - den Nazi-Moerdern entkommen

Ueberleben als Verpflichtung - den Nazi-Moerdern entkommen

Titel: Ueberleben als Verpflichtung - den Nazi-Moerdern entkommen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inge Deutschkron
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Hoffnung zu hegen, selbst wenn sie mit dem Rücken zur Wand standen. „Zwei Juden sollten erschossen werden. Plötzlich heißt es, sie würden gehängt. Da sagt der eine zum andern: ,Siehst du, jetzt haben sie auch noch nicht einmal Patronen.‘“
    Die im September 1935 mit großem Pomp auf dem Parteitag der NSDAP eingebrachten Nürnberger Gesetze erschreckten die jüdische Bevölkerung nicht sonderlich. Das Reichsbürgergesetz beraubte sie zwar aller politischen Rechte und degradierte sie zu Staatsangehörigen. Im wesentlichen waren die Bestimmungen und Verbote, die ihnen mit dem Arierparagraphen von 1933 aufgebürdet worden waren, darin enthalten. „Man wird sich arrangieren können“ , so der Kommentar der Betroffenen, ein Wort, das ihr Leben von da an begleitete und den Begriff des Sichduckens zur Grundlage hatte.
    Anders war es mit dem Gesetz zum Schutz des deutschen Blutes und der deutschen Ehre. Es verbot Eheschließungen zwischen Juden und Nichtjuden. Es enthielt außerdem einen Passus, nachdem nichtjüdische Hausangestellte unter 45 Jahren nicht mehr bei Juden tätig sein durften.
    Rassenschande nannten die Nazis das Übertreten dieses Gesetzes, das mit Haftstrafen und KZ für den Juden geahndet wurde.
    Ein jüdischer Arzt, der eine Hausangestellte beschäftigte, so erzählte man sich, verstand die Welt nicht mehr. „Ich geh um acht, sie kommt um neun. Sie geht um drei, ich komm um vier. Wann soll ich sie denn da schänden?“
    Das Wort Auswanderung blieb dennoch ein Thema. Zu Beginn des Naziregimes waren es hauptsächlich junge Menschen gewesen, die das Land verließen, das ihnen jede Ausbildungsmöglichkeit verwehrte. Einige wohlhabende Juden übersiedelten in ein anderes Land, das ihnen und ihrem Besitz mehr Sicherheit versprach. Doch der großen Mehrheit der deutschen Juden fiel es weiterhin schwer, Auswanderung auch nur ins Auge zu fassen. Sie glaubten weiter an Deutschland und an die Deutschen. So auch mein Vater, der seine Heimat nicht verlassen wollte, für die er als Freiwilliger im Ersten Weltkrieg gekämpft hatte. Zwei Arten von Juden gibt es, so beschrieben die Juden ihre Glaubensgenossen: „Die Pessimisten sind im Exil, die Optimisten im Konzentrationslager.“
    Von der Jüdischen Gemeinde kam keine Ermutigung zur Auswanderung. Im Gegenteil. Dr. Leo Baeck, einer der führenden Rabbiner, mahnte: „Verlaßt nicht sinnlos Deutschland. Tut hier eure Pflicht!“ Ich habe bis heute nicht begriffen, was er damit gemeint haben könnte.
    Im Jahr 1936 glaubten die Juden eine Schutzpatronin zu haben. Sie nannten sie Santa Olympiada . Denn in Berlin waren mit Beginn der Olympischen Spiele alle Schilder und Plakate, die Juden den Eintritt in Cafés, Restaurants und Kinos verwehrten, beseitigt worden. Offensichtlich der ausländischen Gäste wegen. Die Juden hielten es aber tatsächlich für möglich, daß dies auch das Ende ihrer Diskriminierung anzeigte. Doch am Ende des internationalen Wettbewerbs muß die Kraft der Santa Olympiada erloschen sein.
    Im Jahr 1937 nahmen die Nazis die Quälerei der Juden verstärkt wieder auf. Ihre Bestimmungen, Schikanen, Forderungen trafen nun den einzelnen mehr als zuvor, als man der Allgemeinheit der Juden Vorschriften machte. So verlangten sie nun die Abgabe von Gold und Silber. Meine Mutter, eine sehr resolute Frau, weigerte sich, den Verbrechern , wie sie die Nazis nannte, unser Familiensilber auszuhändigen. Doch sie mußte erkennen, daß Namenslisten über die Abgabe Aufschluß gaben. Eine Verweigerung der Abgabe würde bestraft werden. So kramte meine Mutter in alten Sachen und fand einige alte, verbeulte, zerbrochene Silberstücke, die sie herzugeben bereit war. Unsere nichtjüdischen Freunde sorgten mit ähnlichen unbrauchbar gewordenen Silberstücken aus ihrem Haushalt dafür, daß unsere Abgabe vollkommen war. Das alles ging unter großem Gelächter vor sich. Unser wirkliches Familiensilber fand bei unseren nichtjüdischen Freunden, unseren Aufbewahriern, wie wir sie nannten, ein gutes Versteck.
    „Der Moses war doch ein großes Rindvieh“ , sagte ein Jude zum anderen. „Wie kannst du nur so von unserem großen Propheten sprechen, der uns aus Ägypten herausgeführt hat?“, empörte sich der andere. „Na eben, hätte er uns nicht herausgeführt, hätt’ ich jetzt einen englischen Paß.“
    Nicky und Pippa, zwei Wellensittiche, waren ganz still und schienen zuzuhören, was in ihrem Revier am 9. und 10. November 1938 vor sich ging. Stunden zuvor hatte

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