Überleben auf Partys: Expeditionen ins Feierland (German Edition)
von vier, fünf Bieren angenehm schwimmend. Seit geraumer Zeit sagt er nur noch richtige Sätze, bringt sie zum Lachen, neckt sie, berührt sie beiläufig, um zu testen, ob sie es zulässt. Sie lässt. Im Haus geht das Licht an. Seine Eltern gehen ins Bett. Sie prüfen nicht einmal die Lage. Im Zelt selbst liegt alles in Schutt und Asche. Joachim, in den auch so viel Bier reinpasst, weil er sehr groß ist, spielt Wrestling mit den Jungs. Grollend hebt er sie hoch, zertrümmert sie mit dem Rücken voran auf seinem halb aufgestellten Bein oder wirft leere Fässer auf sie. Die Jungs sind unter sich. Die Mädchen sind alle gegangen. Nur Swantje ist noch da. Gerade eben stemmt Joachim Lukas in die Luft. »O mein Gott!«, kommentiert Joachim seine eigene Aktion, »er wirft ihn direkt auf das Pult der Moderatoren!« Lukas kreischt und quiekt wie ein kleiner Junge. Das Pult der Moderatoren, das im echten Wrestling tatsächlich primär dazu dient, von herumgeworfenen Wrestlern zertrümmert zu werden, ist im Festzelt der Klapptisch mit den Salatschüsseln. Lukas weiß das. Er zappelt in Joachims Armen wie ein Käfer. Er ahnt, dass es einen Grund gibt, warum auf echten Moderatorenpulten keine großen Glasschüsseln stehen. Was ihn nicht davon abhält, hoch oben in der Luft sein Handy aus der Tasche zu ziehen und dem Jungen aus der Zwölften zuzuwerfen. »Film das, schnell!«, ruft er noch, bevor er mit seinen ganzen 65 Kilo auf den Essenstisch kracht. Das Gemisch aus Nudelsalat und Chipskrümeln hüllt ihn in Sekundenschnelle vollständig ein. Joachim jubelt ein paar Sekunden, nimmt dann die Arme runter, geht zum Fass, betätigt den Hebel, legt sich auf den Boden, klinkt seinen Kiefer aus und lässt sich erst mal wieder wortlos den Schädel volllaufen.
Merke ➙ Wenn Männer achtzehn sind, sind sie geistig zwölf. Wenn Frauen achtzehn sind, sind sie mindestens zweiundzwanzig. Der Altersunterschied zwischen einer achtzehnjährigen Frau und einem achtzehnjährigen Mann beträgt folglich zehn Jahre.
Um drei Uhr ist Joachim endlich bewusstlos. Er hat alle Fässer leer getrunken, dazu sieben mitgebrachte Dosen Cola-Jim-Beam und die Hälfte des alten Wassers aus der Regentonne. Er hatte sogar noch die Kraft, in einen Schlafsack zu kriechen. Langsam wie eine Schildkröte zog er den Kopf rein und grummelte, als er drinnen war: »Licht aus!«
Swantje möchte noch nach Hause fahren, aber das macht nichts. Im Gegenteil.
Im Licht der Sterne bringt Malte sie zur Straße, wo ihr Fahrrad an der fahl leuchtenden Laterne lehnt. Er weiß: Jetzt ist es soweit. Sie wird fahren, aber wir werden uns mit einem Kuss verabschieden, hier und jetzt, in der Nacht meines 18. Geburtstags. Alle Gäste waren heute wie kleine Jungs. Alberne, undichte Brummkreisel mit Sprühwasser. Man muss sich nur Lukas angucken, er ist zwischen den Trümmern des Tisches eingeschlafen, mit Nudeln in den Ohren. Aber ich, denkt Malte, ich war der einzige Mann. Und als solcher werde ich gleich ins Bett gehen nach einem langen, tiefen, aufregenden Kuss. Mit dem Wissen, Swantje nicht länger als Freundin, sondern als Freundin zu haben, und der Vorfreude auf alles, was da kommt. Und es klappt, er macht einen Schritt auf sie zu, ganz nah, sie will ihn ebenfalls küssen, er kann schon die Wärme ihres Atems spüren … als plötzlich die Haustür aufgeht und die Mutter einen großen Sack Partymüll in die Tonne wirft.
»Da gehen sonst die Katzen dran«, sagt sie, und Malte kann es nicht fassen. Seine Mutter ist niemals um drei Uhr noch wach. »Um drei Uhr schläft ein anständiger Mensch«, hat sie mal gesagt, »nur Einbrecher, Mörder und Prostituierte sind um diese Zeit noch auf den Beinen.« Und was soll das mit den Katzen? Drüben im Zelt liegt ein vollständig mit Nudelsalat ausgestopfter Lukas, da hilft es auch nicht, jetzt einen kleinen Müllsack wegzubringen.
»Lasst euch nicht stören«, sagt Maltes Mutter auf dem Rückweg zur Haustür in ihrem geblümten Nachthemd, doch es ist natürlich längst geschehen. Und was das Schlimmste ist: Malte ahnt, dass das nicht alles ist. Es kommt noch was. Es gärt in der Mutter. Malte weiß: Der kluge, anständige Teil von ihr, der selbst mal jung war, der will es nicht sagen. Aber der Teil, der ganz Mutter ist, der will. Und so sagt sie doch tatsächlich in der Tür: »Ach, Malte-Schatz, ich werfe noch schnell eine Maschine an, bevor ich ins Bett gehe. Hast du vielleicht noch irgendwo dreckige Schlüpfer herumliegen?«
Heute Abend
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