Überleben auf Partys: Expeditionen ins Feierland (German Edition)
zurück. In beider Höschen zieht’s die Unterleiber bereits zu ihrem Gegenüber.
Merke ➙ Auf der heimischen Stammbahn gehen Kegler kegeln, um zu kegeln. Beim Kegelausflug geht es grundsätzlich um andere Kugeln.
Das Rollen der Kugel auf der polierten Holzbahn ist ein Geräusch der Vorfreude.
Im Hintergrund singt Wolfgang Petry »Verlieben, verloren, vergessen, verzeihen«. Ein Lied, dem Kegler so vertraut wie das Geräusch des Mechanismus, der die Kugel wieder aus dem Loch in die Warteschiene katapultiert.
Udo räumt alle Neune ab. Er stolziert zum Tisch und setzt sich neben Sabine, deren Hose auf magische Weise noch mehr Risse bekommen hat. Nur noch Fransen mit Bein. Richard knutscht hinten an der Theke mit seiner Fränkin. Sabine macht kaum Punkte, kann dafür aber Biergläser wegziehen wie ein kanadischer Holzfäller. Das erregt Udo. Seine Frau hebt wahrscheinlich gerade in einem feinen Lokal ihr Weinglas gegen das Licht. Ein Restaurant, in dem man alles irgendwo »an« serviert. Lammfilet an argentinischen Böhnchen. Australischer Strauß an Gemüsenest. Sabine hängt sich seitlich über Udos Stuhl und macht einen Scherz, den er nicht versteht, weil er in ihren Ausschnitt starrt. Heute Nacht gibt es Udo an Sabine. Er hat ein schlechtes Gewissen, aber er hat auch große, harte Kugeln. Und viel Bier im Blut, das alle Regeln des Lebens angenehm relativ macht. »Sie haben die gesamte zweite Etage für sich«, hat die Rezeptionistin gesagt. Udo hebt das Glas und brüllt über den Tisch nach hinten zur Theke: »Richard, du Ferkel!« Richard knutscht weiter und hebt – während er mit geschlossenen Augen fränkischen Mundraum erkundet – die rechte Hand, um Udo den Stinkefinger zu zeigen. Udo lacht sich kaputt.
Was sagt die Wissenschaft? ➙ »Der Kegelausflug ist die Wiederholung der Klassenfahrt, mit dem Unterschied, dass nun tatsächlich alle Sex haben«, erklärt Professor Winfried Wachsmuth vom Institut für wollüstigen Wiederholungszwang (IfwW) in Westbevern. »Wäre es den Menschen gelungen, ihre primären Geschlechtsteile bereits während der Schulausflüge in der zehnten, zwölften oder dreizehnten Klasse im jeweiligen Wunschpartner zu versenken, würden sie sich als Erwachsene in den Partyhotels für Kegelklubs gesitteter verhalten. So aber holen sie alles nach. Eine Art angefangene Leerspur des Lebens, die endlich gefüllt werden will.«
In der zweiten Etage herrscht bereits Vollgas. Richard und die Fränkin sind längst auf dem Zimmer und kneten sich durch wie Sauerteig. Der Hotelchef betreibt einen mobilen Kondomautomat, den er an diesem Wochenende an die Wandhaken in Etage zwei gehängt hat. Alle zwei Stunden muss er von der Zimmerfrau nachgefüllt werden. Zwischen den offenen Türen laufen Frauen in Bademänteln hin- und her und kichern, teils verfolgt von hüpfenden Männern.
Udo und Sabine kegeln noch, ein paar Stöße vor den Stößen, sie kosten es aus, es ist ihr Vorspiel, und das Wochenende wird lang. Eine Gruppe, die erst spät eingecheckt hat, betritt die Bahn nebenan und verteilt sich an der langen Tafel. Auch sie haben ihren Brüllmeister, ihre Krawallkugel, ihre lebende Vuvuzela. Ein Hüne mit Kinnbart. Er ruft »zwanzig Bier!«, es hallt nach hinten über die Theke, durch die Küche, heraus aus dem Schlitz eines ebenerdigen Kippfensters, in die Berge und hinein in das Land. Auf der Autobahn zuckt ein Trucker zusammen. Ein Flugschreiber verzeichnet Turbulenzen durch Schallwellen. Ein Reh erleidet einen Herzinfarkt.
Sabine hört auf, vor den Augen Udos ihre Kugeln zu polieren, und starrt hinüber zu dem Hünen, der auf der Bahn nebenan gerade die Bestellung aufgegeben hat. Hinter dem Hünen erscheint, genau zwischen Achsel und Gürtelschnalle, eine kleine Frau mit dunklem Haar. Sie schmiegt sich so leise und flüssig an seine Brust, als sei sie eine sich bewegende Tätowierung auf seiner Haut.
»Jörg?«, ruft Sabine.
»Sandra?«, ruft Udo.
Der Hüne und sein geschmeidiges Anhängsel machen große Augen. Dann geht es ganz schnell. Udo und Jörg laufen aufeinander zu und fragen gleichzeitig: »Was hast du bei meiner Frau verloren?«, ihre Panzerkanonenrufe treffen sich zwischen den Kegelbahnen und verschlingen sich gegenseitig.
»Von wegen Fachwerk und Kultur!«, schimpft Udo mit seiner Frau Sandra, während der Ringkampf mit Jörg beginnt.
»Von wegen viel Arbeit!«, keift Sabine und tritt dem Hünen von hinten in die Kniekehlen, während dieser Udo im Nacken packt. Die
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