Überleben auf Partys: Expeditionen ins Feierland (German Edition)
aber hat er an jedem Wochenende ein Dach über dem Kopf. Leise streift er durch die dunklen Straßen und achtet auf Rudelbildung vor Haustüren und erleuchtete Fenster in allen Etagen. Frühestens ab 22 Uhr schlägt seine Stunde. Dann sind die Gäste betrunken genug, um sich überhaupt nicht mehr zu fragen, wer er ist, wenn er mit freundlicher Gelassenheit eintritt und die Augenlider in die säuglingsähnlich zufriedene Halbmaststellung sinken lässt, die bei Suff ebenso eintreten kann wie nach dem Kiffen und die sicher dafür sorgt, dass man nicht kritisch angesprochen wird. In Wirklichkeit ist Paul noch nüchtern und hält Ausschau nach einem Pennplatz. Hat er ihn gefunden, reserviert er ihn sich und darf auch endlich ein Bierchen trinken.
Merke ➙ Wo viele Menschen unter dreißig in einem großen Haus versammelt sind, fragt niemand nach, wer man ist. Bei einer Hausparty gilt: Wer da ist, ist da und darf bleiben. Solange er sich gut einfügt.
»Studiert Markus eigentlich gerne Medizin?«, fragt Paul einen jungen Mann mit krausem Haar und Tendenz zu Glubschaugen, der neben ihm auf den Dielen im Vorraum des Pools sitzt. Paul hat aufgeschnappt, dass der schwarzhaarige Jungzwanziger mit dem ägyptischen Gesicht, der sich gerade ironisch gebrochen in der Badehose wie ein Gorilla auf die Brust trommelt, Markus heißt. Das Haus, in dem die Party stattfindet, scheint ihm zu gehören. Also, seinen reichen Eltern, aber er benimmt sich so, als sei es seins. Im Pool toben betrunkene Jungs und junge Studentinnen. Paul hat keine Ahnung, ob Markus Medizin studiert. Dass seine Eltern Ärzte sind, schließt er allerdings recht sicher aus den Fachbüchern im großen Büro. Er wollte seinen Schlafsack zunächst dort ausbreiten, direkt unter dem riesigen Teakholzschreibtisch, wie ein Kind, das Höhle spielt. Doch dann entdeckte er eine Tür weiter, dass im Schlafzimmer sogar das weiche Ehebett frei ist. Er wählte die Seite der Mutter, gekennzeichnet durch eine Frauenlesebrille mit Kordel und Romane von Charlotte Link und Joy Fielding auf dem Nachttisch. Damit ihm diesen Spitzenpennplatz keiner wegnimmt, hat er das Schlafzimmer abgeschlossen und den Schlüssel in die Tasche gesteckt. Das hat den Vorteil, dass er jetzt in Ruhe trinken kann. Kästen stehen überall herum. In den Fluren, an den Treppen, sogar im Bad. Auf Hauspartys kann man mit geschlossenen Augen, die Finger griffbereit nach unten ausgestreckt, in die Kniebeuge gehen und hat automatisch ein Bier in der Hand.
Der Kraushaarige stößt mit Paul an, als wären sie alte Kumpels. Er sitzt bereits auf seiner Isomatte und es ist unwahrscheinlich, dass er heute noch mal aufsteht. Im ganzen Haus stehen nur teure Markenkästen verteilt. Radeberger, Hasseröder, Wicküler … alle Biere, die auf »-er« enden, bis auf Paderborner.
Paul stößt Flaschenhals an Flaschenhals. Der Kraushaarige legt den Kopf schief und antwortet, den Blick weiter auf dem am Poolrand balzenden Markus: »Er hat überhaupt keinen Bock, selber Arzt zu werden. Aber sein Alter lässt nicht locker.« Der Kraushaarige hebt die Flasche und macht mit ihr eine Kreisbewegung über Dielen, Wände, Decke und Poolglaswand: »Er sagt immer: Markus, so ein Anwesen baut man nicht als Surflehrer auf.«
Paul schmunzelt und neigt seinerseits den Kopf zum Kraushaarigen. Fast so, als wolle er ihn ihm auf die Schulter legen. Die zwei Liter Bier auf wenig gefüllten Magen geben ihm das Gefühl, jedermanns Freund zu sein. Eine hilfreiche Überzeugung. Paul strahlt dadurch eine kumpelhafte Wärme aus, welche die Leute redselig macht und sie erst recht nicht nachfragen lässt.
»Die eine da im Wasser sieht aus wie Neve Campbell«, sagt Paul.
Der Kraushaarige grinst: »Und ihre Freundin wie Megan Fox.«
Paul lacht und legt den Arm um des Kraushaarigen Schulter: »Ach, Lukas. Wir beide, was?«
»Lars«, antwortet der Kraushaarige und Paul hat somit einen weiteren Namen gesammelt. Er sagt: »Markus wird heute Nacht keins von den Mädchen kriegen.«
»Nein«, bestätigt Lars und streckt die Hand blind tastend nach links aus, bis sie in einer Tüte mit Chips landet. Die liegen auch überall herum. Knuspernd fährt er fort: »Um vier Uhr sitzt Markus vor dem großen Monitor in Papas Büro und poliert seine Gurke. Stimmt wirklich. Einmal hab ich mich bei einer Party mit meiner Isomatte zum Pennen unter den Schreibtisch gelegt. Wie so ’n Kind, weißt du? Voll gemütlich unter dem Riesenteil. Ich hab nicht gemerkt, wie Markus
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