Überleben auf Partys: Expeditionen ins Feierland (German Edition)
reingekommen ist. Ich hab’s erst gemerkt, als Markus gekommen ist, die Füße direkt neben meinem Schlafsack und die Hose auf den Schuhen.«
Paul lacht sich kaputt.
Lars schüttelt sich ebenfalls: »Ja, so war das. Oben auf dem Schreibtisch stöhnen die lesbischen Asiatinnen in den Monitorboxen, und unten schlage ich die Augen auf und habe beste Sicht auf das Geschehen. Ich sag dir eins, Philipp …«
»Paul …«
»Ja, Paul … ich sag dir eins. Schlaf niemals bei einer Hausparty unter Papas Schreibtisch.«
»Werde ich mir merken.«
Merke ➙ Das Wichtigste bei einer Hausparty sind für alle Beteiligten die vielen heimlichen Rückzugsräume.
Nach dem Ärztehaus letzte Woche ist das heute ein Abstieg. Neben Paul steht ein Langhaariger in quietschbunter Badehose im fahlen Flutlicht der Terrassenmarkise. Das Haus ist weder alt noch neu. Nur ein wenig ungepflegt. Die Rollos am Wohnzimmerfenster hängen auf Halbmast und haben sich verkantet. Die Tischdecke auf dem Außentisch ist aus diesem weichen Gummi, auf dem nichts rutscht. Auch hier kann man beliebig aus der Kniebeuge heraus Bier und Chips in die Finger bekommen, aber es stammt alles von Discountermarken. Die Frauen sehen nicht aus wie Neve Campbell oder Megan Fox, sondern eher wie Angestellte, die schon nach drei Jahren im Beruf so übermüdet sind, als seien sie um fünfzehn Jahre gealtert. Paul vermutet, dass sie in den zwei anstrengenden »E-Berufen« arbeiten, in denen nonstop kindischer Lärm und dumme Fragen auf sie einströmen: Erzieherin und Elektrofachmarktangestellte.
»Die hätten den Neustädter niemals an Schalke verkaufen dürfen«, sagt der Langhaarige in der quietschbunten Badehose.
Paul antwortet: »Solange sie Patrick Herrmann behalten, ist alles gut.«
Paul ist froh, dass er sich so was merken kann. Eigentlich interessiert er sich nicht für Fußball. Aber wer auf Hauspartys leben will, muss sich anpassen. Als der Langhaarige zu ihm kam und ohne Einleitung zu plappern begann, schloss Paul aus dem Gehörten, dass er Fan von Borussia Mönchengladbach sein muss. Also ist Paul das heute auch. Paul studiert Sportmagazine, die Leute in Bussen liegen lassen, liest alle Schlagzeilen auf den Tageszeitungen und schaut sich im Saturn die aktuellen Single- und Albumcharts an. Man muss flexibel sein.
»Entschuldige mich, Hannes, ich geh mal eben für kleine Jungs.«
»Hendrik …«, sagt der Langhaarige.
»Ja, mein ich ja. Hendrik.«
Paul betritt das Haus. Als er die jungen Frauen am Terrassentisch passiert, schnappt er ein paar Gesprächsfetzen auf.
»Da fragen diese Hubschraubereltern mich doch tatsächlich, ob wir in der Kita nicht schon die ersten Worte Mandarin vermitteln könnten. Wo China doch so eine Weltmacht wird.«
»Ach, Lina, meine Kunden im Elektromarkt sind auch nicht viel besser.«
Paul geht ins Badezimmer und schließt die Tür ab. Das muss man diesen verbrauchten Mittelstandshäusern lassen – gute Bäder haben sie! Der Raum ist größer als die schmale Küche und besitzt eine Eckbadewanne. Die Bodenfliesen sind aus schwarzem Marmor. Neben der Wanne steht eine Zimmerpalme. Auf dem breiten Wannenrand reihen sich verlockende Badeschaumflaschen auf. Unten, im Wohnzimmer, springt laut die Musikanlage an. Sie spielt die Ramones, alten, behaglichen Punkrock. Hier oben klingt er angenehm gedämpft. Die schwarzen Fliesen haben Fußbodenheizung.
Warum nicht?, denkt Paul, und lässt sich ein heißes Bad ein.
Merke ➙ Eine Hausparty ist wie ein Adventure-Computerspiel. Man sollte niemals zögern, den »Benutze …«-Button zu drücken, wenn sich eine Chance bietet.
Ist das schön. Heißes Wasser. Der Duft von Lavendel und Eukalyptus. Schaum. Paul hat lange nicht mehr gebadet. Er lebt draußen, ohne Geld, hundert Tage lang. Es ist nur eine Wette, aber er zieht sie durch. Findet immer was zu essen und zu trinken, auch wenn in der Stadt oder im Wald nicht augenblicklich ein kühler Flaschenhals zwischen den Fingern erscheint, sobald man in die Kniebeuge geht. An Wochenenden ist für alles gesorgt, den Hauspartys sei Dank. Abends fragt niemand, wer er ist, und morgens nach dem Aufstehen räumt er die Bude auf. Sammelt Flaschen ein, spült Geschirr ab, fegt Krümel auf. Wer aufräumt, wird auch nicht gefragt, wer er ist. Zumindest nicht von Männern. Wenn man Männern unter dreißig ihr Zeug wegräumt, ist ihnen absolut scheißegal, wer man ist. Auf dem Badewannenrand steht eine leer gegessene Schachtel mit Keksen. Paul hat sie noch
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