Überleben auf Partys: Expeditionen ins Feierland (German Edition)

günstig und würde er es hören, als Flüstern, als Geistergesang, als Säuseln der Sirenen, er würde abdrehen und in den Hafen einfahren, vom Boot springen, in die Gesellschaft laufen und Fabian auf der Stelle einen Vertrag anbieten. Die Firma würde ihn als »deutschen Nick Drake« vermarkten, als »Songwriter von tragischer Tiefe und einzigartiger Emotionalität«, er würde mit Philipp Poisel auf Tour gehen und auf einem Empfang Mumford & Sons persönlich kennenlernen, sein zweites Album würde von den Fans verrissen, weil bei einem Lied Streicher vorkommen, und er würde seine Enttäuschung in Alkohol ertränken, bis er in der Entzugsklinik seine dritte Platte schriebe, »einen tiefschwarzen Brocken von Album«, den die Kritiker lieben und der ihn endgültig zum Star machen würde, einem Star wider Willen, der sich zieren und in eine verlassene Jagdhütte im Spreewald zurückziehen würde. Doch all das passiert nicht, weil der verdammte Wind in die andere Richtung bläst. Das Schiff mit dem Talentscout fährt vorbei, und als der letzte Ton verklingt, sitzen alle Gäste ratlos da, als sei ein lila Elefant vom Himmel gefallen. Nicht mal seine Eltern klatschen sofort, erst nach zehn Sekunden Verzögerung, doch da ballert die Tanzband schon wieder den Beginn von »Mambo No. 5« in den Saal. Allerdings: Sabrina steht auf, nimmt Fabian wortlos an der Hand und zieht ihn nach draußen.
    Merke ➙ Schreibst du einen Song zum Vortrag auf einem 50. Geburtstag, lass ihn nicht klingen wie die Indie-Folk-Begleitung zu einer Trauerfeier. Und wenn er noch so gut ist.
    Nach Mitternacht führt Sabrinas Vater seine Frau kichernd wie ein Schuljunge zu den Stegen zwischen den Booten im Hafen. Sie weiß nicht, was das soll, aber sie folgt ihm. Sein Haar klebt grauschwarz auf seiner verschwitzten Stirn. Er darf heute machen, was er will, da er sich am Montag leider wieder in die Erdnusskaumaschine hinter dem Wirtschaftsteil verwandelt.
    »Lass es uns tun, Schatz!«, lallt er und zeigt auf die Boote, die klimpernd im Mondschein liegen. »Wir haben dreißig Jahre drauf gewartet!«
    Sie erinnert sich.
    Ja, mit zwanzig wollten sie’s mal nachts heimlich an Deck einer fremden Jacht treiben. Sie wird rot. Ein schönes Gefühl. Doch der Gatte schwankt bedrohlich. Er singt, er hüpft, er tanzt den Mambo auf dem Steg und schraubt, während er das tut, bereits an seiner Hose herum, als das glitschige Holz ihm die Füße zur Seite reißt, als sei er eine Flasche auf einer weggezogenen Tischdecke. Mit kolossal würdelosem Klang rummst er auf den Steg, bleibt nahe am Rand eine Sekunde lang sitzen und fällt dann, seine Frau verwundert anschauend, wie in Zeitlupe seitlich ins Wasser. Mit der Schulter touchiert er die Fiberglasflanke eines Boots, dann noch mal mit dem Kopf.
    Doppelrumms, lauter Platsch, die schwarzen Fluten schließen sich, der Mambo-Gatte ist weg.
    »Sigmar!«, ruft seine Frau, sich hilflos umschauend, und staunt nicht schlecht, als sich an Deck der Jacht eine Plane lüftet und ihre Tochter Sabrina mit dem halb nackten Fabian darunter auftaucht. Der springt beherzt ins Hafenwasser, fischt Sigmar heraus und wuchtet ihn auf die Planken. Schwer atmend bleibt dieser dort liegen, sein Slim-Fit-Hemd klebt so eng an der Haut, dass sich die Brusthaare wie ein Drahtmuster darunter abzeichnen. Er spuckt Wasser und lacht sich schlapp. Glücklich hebt er mit letzter Kraft die dünnen Arme und grölt: »A little bit of Erica by my side!!!«
    Nun denn, denkt sich Fabian, ich hoffe, dass er sich daran erinnert, wer ihm so beiläufig das Leben gerettet hat.
    Immerhin könnte er seit ein paar Minuten schon der Vater seines Enkels sein.
    •Der 50. Geburtstag
    Alkoholpegel: ★ ★ ★ ★
    Drama: ★ ★
    Erotik: ★ ★ ★ ★
    Spaß: ★ ★
    Was man erwartet
    Sex. Nach einem ausgelassenen Abend mit mehrfachem Mambo schleicht man sich mit der Ehefrau auf ein Boot und holt den heimlichen Jachtsex nach, den man schon als Zwanzigjähriger durchziehen wollte.
    Was tatsächlich passiert
    Sex. Nach einem ausgelassenen Abend mit mehrfachem Mambo schleicht man sich mit der Ehefrau in den Hafen und findet die eigene Tochter mit dem Sohn des Jubilars bei dem Jachtsex, den man selbst als Zwanzigjähriger durchziehen wollte.
    Typischer Song
    »Mambo No. 5« von Lou Bega (Original von Pérez Prado, 1949)
    Typisches Getränk
    Das »Bevor’s gleich losgeht«-Bier

Die Schaumparty
    Die Schaumparty ist das Fest der Feuchtgebiete. Eine Feier der Jugend und