Überleben auf Partys: Expeditionen ins Feierland (German Edition)
vorbei. Wenigstens ist er strahlend weiß. Das Chlor wird das Blut bereits erfolgreich rausgewaschen haben. Von oben pumpt der Beat des DJs. Hier unten im Wasser ist alles nur ein hohles, tiefes Wummern in Ohren und Kopf.
Als Herr Recke auftaucht und das Wummern wieder zum blechernen Bollern wird, fällt er fast in Ohnmacht. Seine Nase befindet sich nun am Beckenrand exakt auf Höhe des Fußbodens. Es stinkt, als habe ihn ein Perverser tief mit dem Gesicht in die Schuhe eines Bauarbeiters gedrückt, der eine Woche lang bei 50 Grad im Schatten die Autobahn teerte, ohne dabei jemals seine Socken zu wechseln. Das Partyvolk im Becken bemerkt es immer noch nicht, aber die Ersten außerhalb des Wassers werden von dem Gestank dahingerafft. Auf dem Weg vom Sportbereich zur Treppe, die rauf zu den Umkleiden führt, liegen mehrere normale Besucher, die lediglich nebenan schwimmen waren oder Aqua-Gymnastik machten, ohnmächtig in ihren Badeanzügen und Speedo-Hosen auf den Fliesen. Eine Putzfrau ist rückwärts in eine Palme gesunken, nur noch ihre Füße schauen aus dem Blattwerk. Sogar die Bademeister fangen an zu würgen. Einer krümmt sich und winkt dem anderen, der in der Tür der Steuerkabine steht, den Chlorgehalt im Wasser zu erhöhen.
»Das kann ich nicht tun!«, brüllt der Mann durch den Lärm. »So viel erlauben die Vorschriften nicht.«
»Entweder sie werden ohnmächtig durch Chlor oder sie werden ohnmächtig durch Gestank«, ruft der andere zurück. »Chlor hat den Vorteil, dass wir eine Massenseuche verhindern. Da liegt einer im Sanitätsraum, der hat schon einen Fußpilz im Gesicht entwickelt.«
Der Mann in der Steuerkabine schüttelt den Kopf, schluckt und gibt Chlorvollgas.
DJ Lassiter bekommt von alldem nichts mit. Er wippt und feiert mit seiner Nasenklammer und sorgt dafür, dass alle die Hände hochreißen, als er »Titanium« auflegt, David Guettas größten Hit für die Schaumkanone. Die Wassertänzer singen den Refrain mit. Ein Mädchen wird in einer gelben Schwimm- und Rutschinsel über die Köpfe gehoben und dort weitergereicht. Für ein paar Augenblicke jubelt sie, dann liegt sie, von den Tragenden unbemerkt, bewusstlos im gelben Gummi, da sie chlorwasserschutzlos der Fußschweißluft ausgesetzt war. Michelle steigt derweil mit Anouar aus dem Wasser. Er geht tatsächlich mit ihr in die Drachenhöhle. Ihr Herz rast und ihre Fantasie fährt Achterbahn, doch nach ein paar Schritten zwischen den Becken – ihr Fuß berührt bereits das superwarme Wasser der anderen Seite – wird ihr ganz schwindelig, und sie sinkt mit verdrehten Augen in seine starken Arme.
Was sagt die Wissenschaft? ➙ »Nachdem die Jahrhundertwende durch ein kurzes Aufkommen der Metrosexualität geprägt war, die ja nichts anderes bedeutete, als dass Männer sich endlich zu pflegen begannen, lässt sich nun ein Trend beobachten, den ich gerne salopp affenartige Attraktivitätskonterkarierung nennen möchte«, so Prof. Mareike Miedersbach-Mosch vom Institut für mutige Männerforschung (IfmM) in Mistelbrunn. »Speziell sehr gut aussehende Exemplare vermeiden die Körperpflege gerade dort, wo sie vor dem Aufenthalt nötig wäre, und tragen außerdem zeltgroße Badehosen mit bunten Blümchenmustern, als wollten sie sagen: Nehmt uns nicht ernst, wir sind immer noch zwölf Jahre alt.« Der Sinn dieser Übung liegt laut Prof. Miedersbach-Mosch darin, »den Kopf im Falle einer sich anbahnenden Beziehung schnell aus der Schlinge ziehen zu können. Sie haben schließlich im Erlebnisbad bereits wortlos klargemacht, dass sie für was Ernstes noch nicht bereit sind, für Sex in der Drachenhöhle allerdings schon.«
»Ein Zigarettenautomat?«, lacht die Kassiererin im Foyer und schaut die junge Frau im weißen Bademantel an, die zitternd vor ihr steht. Beide bemerken nicht, wie im Feuchtbereich hinter ihnen die Besucher wie ausgeknipst vom Beckenrand fallen.
»Ja, das ist eine Party, da darf ich doch wohl rauchen.«
»Junge Frau, das ist ein Wellnessbad. Da ist jede Geruchsbelästigung vollkommen ausgeschlossen.«
Ein Badegast, der entkommen will, klopft jenseits der Scheibe ans Glas und macht Gesten an seinem Hals, die zeigen sollen, dass er erstickt. Die Kassiererin hört ihn nicht. Das Klopfen geht unter im Rhythmus des Klubtracks.
»Und wo kriege ich Kippen her?«
Die Kassiererin zeigt nach draußen: »Tankstelle, schräg gegenüber.«
»Im Bademantel?«
»Ja, ich kann schlecht für Sie gehen und welche holen.«
»Was für ’ne
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