Überleben auf Partys: Expeditionen ins Feierland (German Edition)
Leidenschaft. Eine Messe des Körpers. Ungünstig ist nur, dass junge Männer eine sehr seltsame Art der Körperlichkeit haben …
Michelle ist nervös, als sie mit ihren Freundinnen das Freizeitbad betritt. Im Foyer stehen Sessel aus weißem Leder zwischen Palmen. Auf dem Parkplatz hat sie den Transporter des DJs gesehen, ein schwarzer Van, sechs Meter lang. DJ Lassiter, auch bekannt aus der Klubsendung, die am Wochenende nachts in der örtlichen Kreiswelle läuft. Heute hat er sein Pult über einer anderen Welle aufgebaut, hoch oben am Rand des Wellenbeckens, während rechts die große Schaumkanone auf ihren Einsatz wartet.
»Sechsmal Schaumparty?«, fragt die Kassiererin rhetorisch, während ihre Kollegin Quittungen sortiert. Sie sieht den Mädchen an, dass sie nicht kommen, um Bahnen zu ziehen oder im Sportbecken Aqua-Gymnastik zu machen. Die Gymnastik, die sich die jungen Frauen für heute Abend vorstellen, ist ganz anderer Natur.
»Denk dran, Michelle«, betont Sarah, als sie durch das Drehkreuz gehen, »hier im Erlebnisbad gibt es überall kleine Grotten und Oasen. Du tanzt schön neben Anouar ein paar Runden im Schaum, und dann schnappst du ihn dir und entführst ihn in die dunkle Drachenhöhle vom Kinderbereich.« Die jungen Frauen kichern. Michelle wird rot. Sarah sagt: »Hast du einen wie Anouar einmal in der Grotte, kannst du mit ihm machen, was du willst.« Die Mädchen kreischen. Michelle weiß nicht, ob sie Sarah glauben soll. Neben den Umkleiden hängt das Plakat für das heutige Event: A Night At The Beach . Die Männer und Frauen auf dem Plakat zeigen, wie man auszusehen hat, wenn man diese Schaumparty besucht. Die Frauen haben schmeichelnd schmale Sanduhrfiguren und mandelcremebraune Haut, die Männer tragen Schultertattoos und Sixpacks zum südländischen Teint. Anouar sieht genauso aus, denkt Michelle, aber warum sollte er ausgerechnet mit mir in der Drachenhöhle verschwinden? Wenn meine Figur eine Sanduhr ist, rieselt darin grober Bausand durch einen extra breiten Durchlass … und meine Haut ist auch nicht braun wie Mandelcreme, sondern eher weiß wie Joghurt-Eis. Sarah pflückt kunststoffklappernd ein Kleidernetz vom Haken, gibt es Michelle und sagt, als könne sie ihre Gedanken lesen: »Süße, du hast doch deine zwei Freundinnen hier.« Sie schiebt ihre Hand unter Michelles große Brüste und hebt sie ein Stück an. »Glaub mir, die beiden mit Schaum drauf, und das wird ein Selbstläufer.«
Merke ➙ Die Schaumparty ist der Swingerclub der Jugend. Die Besucher müssen nicht exakt so aussehen wie die Models auf dem Plakat, aber sie dürfen auf keinen Fall über dreißig sein. Zur Schaumparty sind alle Bereiche des Erlebnisbades geöffnet, sogar die Badehöhlen, die das Personal längst vergessen hat. Zur Schaumparty kommt man, um zu kommen.
»Lass uns direkt hier durchgehen, Alter!«, sagt Mourad, als Anouar nach dem Umziehen erst noch duschen will. Er hält die Glastür auf, die ohne Umweg ins Erlebnisbad führt. Auf der Glastür steht: Haben Sie schon geduscht? Von unten stampft bereits der Beat von DJ Lassiter die Treppe hinauf. Das Licht ist blau und rot und grün. »Dirty White Girl« von Dead Prez hallt und schallt von den Wänden und Fliesen wider, als spiele der DJ in einer Kathedrale.
»Guck, da sind Sarah und die anderen Chicks!«, sagt Mourad und zeigt zum Partybereich herunter. Anouar lächelt. Er ist einen Kopf größer als Mourad und trägt ein Flammentattoo auf der Schulter. Sportlich sind sie beide. Die Party hat vor einer Stunde begonnen. Das Bad ist kein Bad mehr, es ist jetzt ein Klub. Zwischen den Liegen und Palmen stehen Grüppchen mit neongelben Cocktails herum, aus denen Strohhalme und Schirmchen ragen. In der Nische mit den zwei Kneipp’schen Tauchbecken – das eine extrem heiß, das andere extrem kalt – geben ein paar 17-Jährige vor den Mädchen an und tun so, als würde ihnen der Temperaturwechsel von dreißig Grad in einer Sekunde nichts ausmachen. Einer bekommt blaue Lippen und wird ohnmächtig. Ein Bademeister trägt ihn weg. Zwischen zwei Palmen kippen sich ein paar Jungs mit Kinnbärten Bier aus Plastikflaschen in den Hals, das sie aus den Umkleiden runtergeschmuggelt haben. Die ersten Pärchen schwimmen durch einen Tunnel mit Plastikvorhang hinaus in das Solebecken, um sich dort unter freiem Himmel die Zungen in den salzigen Hals zu stecken.
Sarah winkt den Jungs aus dem Wasser, und sie legen lässig ihre Handtücher auf zwei weiße Liegestühle.
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