Überleben oder Scheitern: Die Kunst, in Krisen zu bestehen und daran zu wachsen (German Edition)
verlassen, dass es Kräfte in uns und außerhalb von uns gibt, die in der Krise zur Verfügung stehen wie ein großes unterirdisches Wasserreservoir, das wir nicht sehen, wenn wir verzweifelt ob großer Trockenheit und Dürre kurz vor dem Aufgeben sind. Wer in einer solchen Situation keine Hoffnung hat, wird nicht anfangen, einen Brunnen zu bohren. Er wird verdursten.
Eine Natascha Kampusch hätte sicherlich nicht die notwendige Kraft aufbringen können, hätte sie nicht den hoffnungsvollen Glauben gehabt, sich als erwachsene starke Frau eines Tages zu befreien. Die Bergleute in Chile hätten die lange Zeit des Eingeschlossen-Seins nicht überleben können, wenn nicht zumindest einige von ihnen fest an eine Rettung und die Überlebenskräfte geglaubt hätten, auch wenn ihre Lage noch so aussichtslos erschien.
In einer Krisensituation sind uns vor allem in der ersten Zeit die Augen für einen hoffnungsvollen Ausgang verschlossen. Wir sind überwältigt von negativen Gefühlen der Angst, und verzweifelt, dass unser Leben nicht so weitergehen wird, wie wir uns das vorgestellt und erhofft haben. Wenn wir keinen Ausweg sehen, macht es wenig Sinn, mit aller Gewalt eine Lösung zu erzwingen. Viele Menschen in Krisensituationen zermartern sich mit ihren Gedanken, unbedingt jetzt eine Lösung finden zu wollen. Sie geraten in ein Gedankenkreisen, werden so angespannt dabei, dass sie nicht mehr schlafen oder entspannen können, um Kräfte zu tanken, und verlieren dadurch alle Energie. Der ermüdete Organismus macht sie psychisch labiler und noch hoffnungsloser. Sie vergleichen sich mit der Zeit vor der Krise oder mit anderen Menschen, die diese Probleme nicht haben. Sie hadern mit ihrem Schicksal, finden es ungerecht oder ärgerlich, dass das mit ihnen passiert ist, und werden dadurch je nach Temperament immer depressiver oder planlos-hektisch. Dazu kommt das Problem der »self-fulfilling prophecy«. Wenn wir immer über den negativen Ausgang der Krisensituation nachdenken, tun wir unbewusst alles dafür, dass es tatsächlich so übel kommt, wie wir es prophezeit haben.
Stattdessen ist es wesentlich sinnvoller, an Menschen zu denken, die in objektiv noch schlimmeren Katastrophensituationen waren und diese bewältigt haben, wie zum Beispiel Mary aus Afrika. Daran zu glauben, dass es einen Weg gibt, auch wenn wir ihn in diesem Moment noch nicht sehen können. Darauf zu vertrauen, dass wir die Kompetenz besitzen, zu überleben und zu bestehen. Das bedeutet nicht notwendigerweise, immer noch mehr Kraftanstrengung aufzubringen, sich durchzubeißen wie ein Zehnkämpfer, der mit der letzten ihm möglichen Willenskraft den 1500-Meter-Lauf gerade noch so ins Ziel bringt. Hier geht es eher um die mentale Stärke, die sich einstellt, wenn wir auf neue Kräfte und Lösungen vertrauen, über die wir jetzt noch nicht verfügen.
Dazu gehört, die Krise anzuerkennen, in der wir uns befinden, nicht dagegen zu kämpfen, sondern sie anzunehmen. Dadurch haben wir die Möglichkeit, in einen entspannteren Zustand zu gelangen, verbunden mit der Hoffnung, dass es eine Lösung geben wird. Weiterhin gehört dazu, dass wir uns nicht darauf versteifen, dass alles wieder so wird wie vor der Krise. Wir müssen offen dafür sein, Dinge und Menschen loszulassen, die uns lieb und wichtig waren. Und erkennen lernen, dass wir nichts mit Macht festhalten können, was nicht zum Festhalten bestimmt ist. Oft bemerken wir erst viel später, dass sich gerade durch das Loslassen von Dingen, von denen wir glaubten, ohne sie nicht auskommen zu können, neue Chancen im Leben eröffnen. Besonders schwer, aber genauso zutreffend kann das bei Trennungen oder beim Verlust von Menschen sein.
Lehre 3
Die in jedem von uns liegenden verborgenen Stärken können wir nur dann aktivieren, wenn wir an deren Existenz glauben, auch wenn wir momentan keinen Zugang dazu haben.
Leben im Hier und Jetzt
Je nach Temperament und Persönlichkeit gehen wir mit sehr unterschiedlichem Blick durch die Welt, vor allem wenn es um unsere Zukunft geht. Optimistische Menschen malen sich aus, dass sie glücklich sein werden, Erfolg und Geld, eine erfüllte Partnerschaft und Freunde haben und gesund sein werden. Pessimistische Menschen sehen Schwierigkeiten und Misserfolge kommen, befürchten ein Scheitern der Beziehung oder erwarten finanzielle, familiäre und gesundheitliche Probleme. Gemeinsam ist beiden Gruppen, dass sie in ihren Gedanken häufig auf die Zukunft fokussiert sind und dadurch
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