Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Überleben oder Scheitern: Die Kunst, in Krisen zu bestehen und daran zu wachsen (German Edition)

Überleben oder Scheitern: Die Kunst, in Krisen zu bestehen und daran zu wachsen (German Edition)

Titel: Überleben oder Scheitern: Die Kunst, in Krisen zu bestehen und daran zu wachsen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Pieper
Vom Netzwerk:
solchermaßen Betroffenen spezialisiert sind. Ich selbst habe einige dieser Notfallteams aufgebaut und geschult; sie kommen zum Beispiel zum Einsatz an Flughäfen, in Schulen oder bei Großveranstaltungen, bei denen es eine Massenpanik geben könnte. Ziel ist es, die Betroffenen zu stabilisieren, Verständnis für ihre psychischen und körperlichen Reaktionen zu zeigen und sie langsam an das, was passiert ist, heranzuführen. Zwei Dinge sind dabei wichtig: Erstens, dass die akute Gefahrensituation zu Ende ist, und zweitens, dass die Betroffenen realisieren, was überhaupt passiert ist.
    Stellen Sie sich folgende Situation vor, von der mir eine Patientin vor kurzem berichtete: Sie war auf der Autobahn unterwegs, um zur Arbeit zu fahren. Wie immer morgens herrschte dichter Berufsverkehr, die Menschen aus den umliegenden Orten pendelten in die nahe gelegene Großstadt. Neben ihr saß eine Kollegin, mit der sie eine Fahrgemeinschaft gebildet hatte. Der Verkehr geriet immer wieder ins Stocken, auf der rechten Spur reihte sich Lastwagen an Lastwagen, auf der linken drängelten schnelle, große Wagen, über die sie nur den Kopf schütteln konnte. Sie plauderte mit der Kollegin und rollte inmitten der Blechkarawane auf der mittleren Fahrbahn dahin. Als sie einen Reisebus passierte, sah sie aus den Augenwinkeln, dass dieser voll besetzt mit Kindern war, von denen einige den Vorbeifahrenden zuwinkten. Als der Bus urplötzlich einen Schlenker nach links machte, schoss ihr blitzartig ein Gedanke durch den Kopf: »Um Gottes Willen, die Kinder!« In einer Reflexbewegung zog sie das eigene Auto nach links, um eine Kollision zu vermeiden. Sekundenbruchteile später gab es einen Riesenknall, das Auto geriet ins Schleudern, alles um sie herum drehte sich, sie konnte sich nicht mehr orientieren. Ihr Wagen war von einem schweren BMW erfasst worden, und wurde nun wie ein Pingpongball hin und her geschleudert. Sie nahm weitere Aufprallgeräusche wahr, metallisches Scheppern, zerberstende Autoscheiben, quietschende Reifen. In kurzen Bilderfolgen sah sie verschiedene Szenen aus ihrem Leben vor sich ablaufen – aus ihrer Kindheit, der Zeit ihrer ersten großen Liebe, sie sah die Eltern, den Großvater, die Geburt ihres Kindes, ihre Küche mit der neuen Espressomaschine, die sie so liebte. Im nächsten Moment war alles totenstill, sie verlor für eine Weile das Bewusstsein. Als sie wieder zu sich kam, registrierte sie, dass ihr Auto auf der rechten Seite lag. Sie sah, dass ihre Kollegin mit dem Kopf in einem Haufen aus Glassplittern lag, überall war Blut. Sie sprach sie an, erhielt aber keine Antwort. Im gleichen Augenblick nahm sie einen stechenden Benzingeruch wahr, Panik ergriff sie, das Auto könne explodieren. Unter Aufbietung aller Kräfte und trotz wahnsinniger Schmerzen im Rücken gelang es ihr, durch die zerborstene Frontscheibe ins Freie zu klettern. Draußen wurde sie mit einem unglaublichen Chaos konfrontiert: Sie sah mehrere ineinander verkeilte Autos, der Bus lag auf der Seite, Menschen liefen umher, einige schrien, manche saßen nur starr und reglos mit entsetzten Gesichtern am Straßenrand. Aus dem Bus hörte man vereinzelt ein Wimmern.
    Die Polizei war bereits da, ein Team eines Notfallrettungswagens kümmerte sich um die ersten Verletzten, ein zweiter Sanka fuhr gerade mit Blaulicht vor. Nach einiger Zeit kam ein Arzt mit einem Sanitäter auf sie zu; er untersuchte sie kurz und fragte, ob sie okay sei. Sie nickte und bat ihn, sich um ihre bewusstlose Kollegin zu kümmern, die immer noch im Auto lag. Da sie selbst keine schlimmen äußeren Verletzungen aufwies, meinte der Arzt, sie solle sich setzen, es käme gleich eine Person, die sich um sie kümmern werde.
    Die Frau stand unter Schock, nahm zunächst alles nur gedämpft und aus der Ferne wahr. Dann aber reagierte alles auf einmal. In ihrem Kopf ging alles wild durcheinander, die Angst um die Kollegin, die Sorge um die Kinder im Bus, »ich muss meine Arbeitsstelle informieren!«, »nein, zuerst muss ich meinen Mann anrufen …« und so weiter. Dazu kamen meistens starke körperliche Reaktionen wie Herzrasen, Zittern, Übelkeit und Schwindel. Gefühle von Angst, Panik, Verzweiflung und Hilflosigkeit, die mit einem Mal alles überlagern, münden bei manchen Menschen in einen Weinkrampf, andere verfallen in eine Starre, in der sie nicht einmal dazu mehr in der Lage sind.
    In dieser Situation ist eine Betreuung durch ein geschultes Notfallteam von enormer Wichtigkeit. Sie

Weitere Kostenlose Bücher