Überleben oder Scheitern: Die Kunst, in Krisen zu bestehen und daran zu wachsen (German Edition)
erleuchtet und findet Erlösung.
Einem Buddhisten hilft dabei auch eine andere Sicht auf den Tod. Hier üben sich die Menschen in fernöstlichen Ländern ebenfalls in einem »versöhnlichen Loslassen«. Sie stellen sich vor, dass es eine Weiterexistenz in dem Sinne gibt, wie eine Kerze ihre Flamme an eine andere Kerze weitergibt, bevor sie erlischt. In der anderen Kerze brennt sie weiter, bevor auch diese ihr Licht erneut weitergibt. Das ist letztlich ein ähnliches Bild wie das des Tropfens im Ozean. Nichts vergeht vollständig, alles wird in dem »All-einen-Ganzen« aufgenommen.
Welches Gedanken- und Erkenntnisgebäude hilfreicher ist für Menschen in Krisensituationen und bei der Konfrontation mit dem Tod, möchte ich hier nicht im Sinne von gut oder schlecht bewerten. Es scheint aber so zu sein, dass es nach dem christlich-jüdischen Bild des Miteinander-in-Beziehung-Stehens schwieriger ist, den verlorenen Menschen loszulassen, weil die Beziehung nach wie vor besteht, sich aber wandelt. Hingegen kann die Hoffnung, dass die Beziehung zu Gott, der uns durch das dunkle Tal führt, sehr tragend sein. Der buddhistische Weg des Loslassen-Übens macht es wiederum leichter, in Krisen- und Verlustsituationen zu bestehen, weil man nicht versucht ist, an dem festzuhalten, was man verloren hat. Und im Bild der Vereinigung des Tropfens mit dem Meer kann man Versöhnung und Ruhe finden. Beide Haltungen sind auf ihre Weise tröstlich, aus beiden können wir für unseren Alltag lernen, ohne dass wir gleich eine ganze Glaubensrichtung übernehmen müssten. Wer Veränderung und Verlusterfahrung als Bestandteile des Lebens annimmt, wird nicht so leicht aus der Bahn geworfen, wenn etwas Unvorhergesehenes geschieht. Wer sich am Augenblick freut, ihn auskostet, ohne an ihm festhalten zu wollen, wird seinen Blick für die kleinen, schönen Dinge schärfen können. Wer auf sich selbst und die Hilfe anderer vertraut, wird bessere Chancen haben, in einer Krise zu bestehen. Und wer auf der Suche nach Lösungswegen spirituelle Gedanken miteinbezieht, kann daraus enorme Kräfte ziehen. Wie die Bergleute in Chile.
Mutmacher 4
Beschäftigen Sie sich mit spirituellen Gedanken (möglichst auch schon bevor Sie in eine Krisensituation geraten), und suchen Sie einen für Sie passenden Weg, der den Zugang zu den »guten Mächten« (wie auch immer Sie sich diese vorstellen) erleichtert.
Dritter Teil:
Nach der Katastrophe – weiterleben, bloß wie?
Alles, was wir in Worte gefasst haben, können wir hinter uns lassen.
Sokrates
8. Erste Hilfe für die Seele
Die Zeit unmittelbar nach einem extrem belastenden Ereignis wie einem Unfall oder einer Katastrophe ist geprägt von Gefühlen der Angst, Panik und des inneren Aufschreis. Die Betroffenen können nicht fassen, dass ihnen so etwas Furchtbares widerfahren ist. Regelrechtes Verleugnen des Geschehenen ist nicht selten. Manche Menschen laufen völlig kopflos umher, haben die zeitliche und räumliche Orientierung verloren und können keinen klaren Gedanken fassen. Dazu kommen starke körperliche Reaktionen, die vielen Menschen Angst machen. Das Herz rast oder stolpert, man schwitzt, zittert oder wird von plötzlicher Übelkeit und Schwächegefühlen überfallen. Einige Menschen reagieren nach einer Katastrophe aggressiv, lehnen Hilfsangebote ab, andere sind scheinbar gefasst, fallen aber innerlich in eine tiefe Verzweiflung.
Für alle Betroffenen ist es entscheidend, dass nach dem Ereignis so schnell wie möglich ein Gefühl der Sicherheit wiederhergestellt wird. Das kann bedeuten, dass man etwa nach einem Amoklauf an einer Schule umgehend aus dem Gebäude evakuiert und an einen neutralen Ort gebracht wird. Oder nach einer Naturkatastrophe wie einem Tsunami höhergelegene Gebiete aufsucht, die das Wasser nicht erreichen kann. Sobald dieser sichere äußere Rahmen hergestellt worden ist, gilt es, die Betroffenen notfallpsychologisch zu betreuen. Unmittelbar nach einem traumatischen Ereignis müssen Maßnahmen anwendet werden, die sich deutlich von denen unterscheiden, die in einer Psychotherapie herangezogen werden.
In den vergangenen Jahren ist das Wissen um das, was Menschen in akuten Belastungssituationen hilft, ständig gewachsen. Unter anderem hat man nach dem Amoklauf von Erfurt festgestellt, dass das gewohnte psychologische Handwerkszeug bei akuten Schockzuständen kaum greift, ja sogar kontraproduktiv sein kann. Zum Glück gibt es inzwischen geschulte Fachleute, die auf den Umgang mit
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