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Überleben oder Scheitern: Die Kunst, in Krisen zu bestehen und daran zu wachsen (German Edition)

Überleben oder Scheitern: Die Kunst, in Krisen zu bestehen und daran zu wachsen (German Edition)

Titel: Überleben oder Scheitern: Die Kunst, in Krisen zu bestehen und daran zu wachsen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Pieper
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Gefühle noch mehr verstärken und die betroffene Person weiter verunsichern. Die nüchtern-abfragende Ebene hilft, sich nicht in panische Katastrophengedanken hineinzusteigern. Gleichzeitig gilt, dass man als Helfer mit der Wahrheit nicht hinter dem Berg halten soll, so schlimm sie auch sein mag. Für den Betreuer heißt das: Sobald Informationen da sind, soll man sie auch mitteilen. Wäre die Kollegin aus unserem Beispiel ums Leben gekommen, sollte der Betreuer dies auch einfühlsam mitteilen. Eine falsche Schonung würde für die Fahrerin des Wagens einen noch tieferen Fall bedeuten. Denn dann käme zu der schlimmen Nachricht noch der Vertrauensverlust dazu, dass der Betreuer die Wahrheit verschwiegen hat. Bis man Kenntnis über die Wahrheit hat, gilt auch für die Notfallhelfer das Prinzip Hoffnung.
    Die Erfahrung in der Betreuung von akut belasteten und geschockten Menschen zeigt eindeutig, dass sie – sobald ein sicherer Rahmen hergestellt und ihren Grundbedürfnissen Rechnung getragen wurde – am besten mit der Situation umgehen können, wenn man ihnen hilft zu verstehen, was passiert ist. Die Bearbeitung der Gefühle, die in ihnen ausgelöst werden, tritt erst einmal in den Hintergrund. Unmittelbar nach einer Katastrophe wäre das, wie bereits gesagt, kontraproduktiv. Die Betroffenen würden sich in ein immer intensiveres Gefühl der Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit hineinreden. Erst später wird es für sie um eine Aufarbeitung des Erlebten und der dadurch ausgelösten Emotionen gehen.
Mutmacher 5
    Wenn Sie eine außergewöhnlich schlimme Situation erlebt haben, sind starke Gefühle der Verunsicherung und Angst sowie körperliche Reaktionen wie Zittern, Herzrasen und andere Phänomene vollkommen normal. Die Situation an sich war unnormal, nicht Ihre Reaktionen darauf. Vertrauen Sie darauf, dass Ihr System die Lage wieder in den Griff bekommt, und tun Sie alles dafür, wieder zur Ruhe zu kommen.
    Wenn Sie als Helfer (auch als Laienhelfer) zu einem Unfall kommen, versuchen Sie, die genannten Prinzipien umzusetzen.

9. Ein Unglück trifft selten einen allein
    Stellen Sie sich vor, Sie werfen einen Stein in einen See. Dort, wo der Stein versinkt, entstehen aus der Mitte heraus Kreise, die nach außen immer größer werden. Der Stein, der Kreise zieht – damit lässt sich sehr gut erklären, wer bei einer Katastrophe in welchem Grad betroffen ist. Bleiben wir für einen Moment in diesem Bild. Im Zentrum der vielen Kreise, also da, wo der Stein versunken ist, würde man die Toten verorten. Im nächsten die überlebenden Opfer, die direkt mit dem Geschehen konfrontiert waren, extreme Angst und Hilflosigkeit erlebt haben und um ihr Leben fürchten mussten. Im dritten Kreis würden sich dann diejenigen befinden, die das Ganze beobachtet haben, im vierten die Angehörigen der Toten, im fünften die Angehörigen der Überlebenden, im sechsten die Einsatzkräfte und schließlich die Personen, die später die Betroffenen betreuen oder von deren tragischer Geschichte erfahren.
    Bei allen diesen Gruppen muss man mit Schwierigkeiten bei der psychologischen Verarbeitung des Ereignisses rechnen. Um es noch einmal klar zu sagen: Nicht alle diese Menschen sind traumatisiert, aber alle sind Betroffene. Diejenigen, die unmittelbar mit dem Geschehen konfrontiert waren, haben ein größeres Gefährdungspotenzial für eine Traumastörung. Bei denjenigen, die sich weiter weg vom Geschehen befanden, ist dieser Prozentsatz deutlich geringer; bei Personen, die Zeugen eines Unfalls wurden, liegt die Rate zum Beispiel bei etwa 4 Prozent. Andreas Maercker kommt in seinem Buch »Therapie der posttraumatischen Belastungsstörungen« bei direkt betroffenen Katastrophenopfern auf eine gemittelte Zahl von 12 Prozent, die eine Traumastörung entwickeln.
    Nach dem Amoklauf in Erfurt gab es verschiedene Sichtweisen, wie mit den Betroffenen umgegangen werden sollte. Die eine Position war: Das traumatische Ereignis hat den Schulalltag in seinem normalen Ablauf gestört. Man soll so schnell wie möglich versuchen, zurück zur Normalität zu gelangen und den Schulalltag wieder aufzunehmen. Diejenigen, die mit einer psychischen Störung auf das Ereignis reagiert haben, sollen für eine gewisse Zeit aus der Schule genommen und von Spezialisten behandelt werden, damit sie das Trauma überwinden. Danach sollen sie wieder in den Schulalltag integriert werden.
    Die andere Sichtweise, die auch ich vertreten habe, war folgende: Das traumatische Ereignis

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