Überm Rauschen: Roman (German Edition)
eigentlich nicht mehr darauf ankam, den großen alten Fisch zu fangen. Wenn schon nicht den, dann wenigstens möglichst viele andere, so viele, bis es vielleicht keine Fische mehr gab und nur noch Vater und der alte Fisch Ichthys übrig blieben.
Ich fische jetzt im ruhigen Wasser oberhalb der Stromschnellen, wo die Wiesen sacht an den Fluss herangehen und wo im seichten Uferlehm die Höhlen der Bisamratten liegen. In diesem Bereich sind die Bahngleise fast hundert Meter vom Ufer entfernt. Ich war oft mit Hermann zusammen hier, hier brachte er mir Schwimmen und Tauchen bei. Wenn wir dort waren, beobachteten wir Fische beim Fressen, wie Fliegen auf der Wasseroberfläche landeten, wie sie von der Strömung erfasst wurden, welche Farbtöne Fische im Wechsel der Jahreszeiten annahmen. Bei Gewitterregen war es im Wasser angenehm warm, Blitze zuckten über dem Tal, alles schien wie elektrisiert, und wir schlängelten uns wie Aale im Fluss. Ich konnte mir nie erklären, warum Fische bei Gewitter so zutraulich sind, wir sie berühren und ihnen beim Jagen zusehen konnten. Alma war bei uns, sie trug einen schwarzen Badeanzug, von dem das Wasser abperlte. Sie hatte bei Gewitter Angst, ins Wasser zu gehen, hockte meist unter einem Baum und las in Groschenheften. Almas Brüste waren schon damals groß, ihre Haut leuchtete weiß, und auf der Innenseite ihres linken Oberschenkels verbarg sich eine nur stecknadelgroße dunkle Warze. Ich durfte nachts unter ihre Bettdecke, wo es nach Pfirsich roch. Sie kicherte und gluckste, kraulte in meinen Haaren und flüsterte verführerisch in ihrem fantasierten Französisch. Ich dachte, ich wäre für immer aus dem Paradies vertrieben, als sie mir eines Tages sagte, dass ich nicht mehr zu ihr kommen dürfe, als sie ihre Tür verschlossen hielt, wenn ich davorstand und darum flehte, dass sie mich hineinlassen solle. Ich hasste meinen Bruder deshalb, denn ich wusste, dass ich wegen Hermann nicht mehr zu ihr durfte.
Die Regenbogenforelle (Oncorhynchus mykiss) stammt nicht aus unserer Gegend, sondern aus Amerika, wo sie ursprünglich in den großen Gebirgsflüssen Montanas lebte. Sie wird größer als die Bachforelle, hat einen kleinen spitzen Kopf, die Maulspalte ist kürzer, der Unterkiefer befindet sich weiter hinten, ihr Körper ist mit schwarzen und farbigen Punkten bedeckt. Ihre Flanken leuchten in den Farben des Regenbogens. Bei älteren Exemplaren verschwinden die farbigen Punkte, nur dunkle Tupfer wie Schatten bleiben. Als Jungtiere leben Regenbogenforellen in Schwärmen zusammen, werden aber mit der Geschlechtsreife zu Einzelgängern.
10
Als ich gestern vom Flur vor Hermanns Zimmer in die Küche zurückkam, sagte ich zu den Schwestern, dass Hermann auch mit mir nicht geredet habe: «Keinen Mucks hab ich aus dem Zimmer gehört … vielleicht hat er’s schon verlassen, hat abgeschlossen und ist durch den Nebeneingang raus.»
«Das würd ihm ähnlich sehn», empörte sich die ältere Schwester.
«Könnt ja auch sein, dass der sich irgendwo rumtreibt, und wir sitzen hier und machen uns Sorgen um ihn», bemerkte die Jüngere.
Alma kam aus der Gaststätte, blieb vorm Küchentisch stehen, sagte, dass Sartorius gestern Abend noch da gewesen sei. Hermann hatte auch ihn nicht ins Zimmer gelassen. Dann hätten sie versucht, die Tür aufzubrechen, Hermann habe daraufhin einen Schrank vor die Tür geschoben. Jetzt habe sie Angst, dass er sich etwas antue.
«Das fällt ihr jetzt so plötzlich mal ein», flüsterte die ältere Schwester schnippisch.
Alma sagte, dass Sartorius am Abend nochmals vorbeikommen würde, diesmal, um Hermann mitzunehmen. Dann sprach sie von der Holländerin, die im Frühjahr am Rauschen gefunden worden war. «Sie hat in einem Wohnwagen unten aufm Campingplatz gewohnt, der Caravan steht jetzt noch am Fluss, wenn das Wasser weiter so steigt, wird er weggeschwemmt.»
«Hermann hat sich sofort in die verguckt, Männer sind halt so», sagte Reese, während sie weiterstrickte und am Wollknäuel zupfte.
Als Salm und Knuppeglas den Gastraum betraten, lief Alma zur Theke, um zu bedienen. Reese erzählte, dass man im Wohnwagen der Holländerin Köder von Hermann gefunden habe – niemand sonst könne solche Köder binden. Die Holländerin habe im Sommer oft auf der Veranda gesessen.
«Alma hat’s nich gefallen, dass Hermann zu ihr ging», flüsterte Reese. «Die war auch im Winter mit ihm Eisfischen, se war dann wie vom Erdboden verschwunden, und im
Weitere Kostenlose Bücher