Überman
letzte Chance auf Trost für den Tag.
Hallo Simon,
schön von dir zu hören, ich hoffe, es geht dir gut. Bei mir ist viel passiert. Ich lebe jetzt mit meiner Frau Shane in San Diego, Kalifornien und genieße das Leben. Wir beide haben ja wirklich ordentlich Kohle gemacht damals, und manchmal kann ich es immer noch nicht fassen, dass ich gar nicht mehr arbeiten muss. Was machst du so? Bist du noch mit Annabelle zusammen oder hat sie die Nerven verloren ;-)? Habt ihr Kinder? Also wir haben zwei: Tim ( 2 ) und Luisa ( 4 ). Wenn ihr mal in die USA kommt, müsst ihr uns unbedingt besuchen, wir haben ein schönes Gästezimmer mit Blick auf den Pazifik! Schreib dir ein ander Mal mehr, wir haben gerade geile Wellen hier, da muss ich einfach raus mit meinem Brett. Im Anhang ein Foto von mir und meiner Familie vor unserem neuen Haus.
Greetings from sunny California
Shahin
PS : Ich bin der Surf-Adair ;-)
Ich weiß auch nicht, aber ich könnte einfach so losflennen. Warum tut er mir das an? Warum ist er nicht auch pleite oder wenigstens noch in Köln? Warum arbeitet er nicht bei Mr. Wash in der Vorsprühhalle und schreibt so was wie ›Hey Simon, ja, lass uns wieder was auf die Beine stellen zusammen!‹?
Okay, also kein Bierchen mit Shahin. Keine neue Firma zusammen. Kein Neustart. Kein nichts. Er hat’s geschafft. Und ich nicht.
Als ich meinen Kopf nach links drehe, schaue ich direkt in die Augen eines kleinen, putzigen Mädchens, vielleicht sechs Jahre alt. »Was hast du denn?«, fragt sie mich, dann wird sie von ihrer Mutter weggezogen »Lass den Mann, der hat Sorgen!«
Ich steige eine Station früher aus, weil ich das Kind nicht mehr ertrage, und kaufe einen Blumenstrauß für Annabelle, damit sie mich nicht verlässt. Mir selbst kaufe ich ein Stück Käsekuchen beim am wenigsten schlechten Bäcker des Viertels und schleppe mich hoch in die Wohnung. Vor unserer Tür liegt ein Paket für mich. Beim Öffnen strahlt mir ein neongrünes Paar Laufschuhe entgegen und eine kleine vorgedruckte Nachricht: »Für meinen Schnuppes! Kuss, Annabelle!«
Ratlos ziehe ich einen der Schuhe aus der Box. Die grüngelbe Neonfarbe hat eine Strahlkraft wie ein Atomkraftwerk bei einer Kernschmelze. Warum zum Teufel schenkt mir Annabelle so was? Ich simse ihr eine Nachricht:
Danke Dir für die Schuhe, Feechen. Aber was soll ich damit? Kuss, Schnuppes
Ich schalte den Fernseher ein. Auf N 24 läuft eine Doku über den Magnetsinn von Tieren und wie sie bevorstehende Katastrophen erspüren. Nach neuesten Erkenntnissen haben nicht nur Vögel und Fische, sondern auch Rinder einen solchen Magnetsinn, sagt der Sprecher. Alle Rinder dieser Welt stehen nämlich am liebsten in einer Nord-Süd-Achse, das hätte man nach Auswertung von über dreihundert Rinderherden bei Google Earth herausgefunden. Haben sie Angst oder verändert sich das Magnetfeld, dann verlassen sie diese Achse.
Vielen Dank, N 24 , dass ihr mein Leben so bereichert mit euren im Vollsuff zugekauften Ramsch-Dokus. Ich greife nach der Fernbedienung, schalte um und lande auf einem Shopping-Kanal, auf dem ein aufgedunsener Glatzkopf begeistert ein Navi für Senioren anbietet. Wo soll denn da der Unterschied zu einem normalen Navi sein? Sagt die Stimme alles dreimal? Ich schalte noch einmal um und lande inmitten der Doku
Der härteste Knast der Welt
. Ob sie da auch Steuersünder reinpacken?
Ich schalte aus, setze mich auf die Couch und überlege, ob ich den Überman Sleeping Schedule beginnen soll oder das Finanzamt Köln-Nord in die Luft sprengen oder besser unterspülen und absacken lassen, was nicht so auffallen würde in Köln. Mein Handy surrt.
Laufen? Kuss, Feechen
Seufzend stehe ich auf und schaue nach draußen. Zum ersten Mal seit Tagen regnet es nicht. Ein Zeichen? Vielleicht sollte ich ja tatsächlich laufen gehen. Immer wieder hört man ja von Leuten, denen das gut tut. Ich könnte mich aufraffen, in die grün-gelben Atom-Autoscooter steigen und mir einen klaren Kopf erlaufen, vielleicht kommt mir ja zwischen Buche und Lärche die rettende Idee! Und wenn nicht, bin ich zumindest besser drauf danach, das sagen ja alle immer. Spechtgleich tackere ich meine Antwort an Annabelle:
Mach ich. Damit du am Abend einen entspannten Freund hast! Kuss, Schnuppes
»So!«, sage ich und eile entschlossen zur Vitrine mit meinen alten Joggingklamotten. Es ist alles noch da, aber natürlich kann ich unmöglich in zwei linken Laufsocken laufen, weil es mich seit
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