Überman
jeher wahnsinnig macht, wenn in meinem rechten Schuh ein Socken mit dem Aufdruck L steckt, obwohl es doch mein rechter Fuß ist. Ein einziges Mal bin ich mit zwei linken Socken gelaufen, weil Annabelle gesagt hat, ich solle mich nicht so anstellen, und ich habe es so gehasst, dass ich die Socken im Wildpark auf ein Lämmchen geworfen habe.
Ich schlüpfe also ohne Socken in die Atom-Schuhe. Sie passen. Und dann renne ich los, mein Handy nehme ich mit, damit ich den Rückruf von Ditters nicht verpasse. Schon an der ersten Straßenecke meldet meine Pulsuhr 137 Schläge pro Minute, ob das gut oder schlecht ist, steht nicht dabei.
Egal, beschließe ich, einfach nur laufen und die Gedanken mitlaufen lassen. Das mit den Gedanken ist leider nicht so einfach. Schon an der zweiten Ecke hoffe ich, dass mir keiner entgegenkommt. Das ist auch so eine Sache wie mit den Socken, weil wenn ich jemandem begegne, dann weiß ich nie, wohin mit den Augen. Wenn mir zum Beispiel eine in GoreTex gepackte Schwartentussi entgegenwabbelt, schaue ich dann peinlich berührt ins Gebüsch? Oder belohne ich die adipöse Leibesstraffung mit einem anerkennenden Blick auf die bebenden Wulste? Was mache ich bei all den attraktiven Müttern, die ihren Buggy vor sich herrollen? Souverän lächeln mit der Botschaft: »Und dich knall ich auch noch weg!«, oder glotze ich stumpf auf den Laufweg, als seien die Mütter gar nicht attraktiv, sondern asexuelle Balg-Schubsmaschinen? Dann gibt es natürlich noch Läufer, die geradezu auf irgendeine Art Bestätigung warten. Ich meine die Testosteron-Cowboys, die auch noch bei minus zweitausend Grad mit kurzer Hose und entschlossenem Blick durch den Wald hetzen in dem Glauben, dies härte ab. Vor was? Stalingrad war ’ 43 !
Die Strecke durch’s Wohngebiet habe ich nun fast hinter mir, das heißt, dass ich mich in knapp einer Minute dem ersten kritischen Punkt nähere, dem Zebrastreifen zum Park. Schon früher war ich hier wegen des Zebrastreifens äußerst angespannt, und ich bin es heute wieder, weil ich nämlich unter keinen Umständen meine Geschwindigkeit verringern werde oder gar warten, bis mich so ein aufgeblasener SLK -Fahrer gnädigst passieren lässt, nein, nein, nein, nein nein! Ich werde ihn ganz normal überqueren, diesen Zebrastreifen, weil er nämlich 1 . nicht zu übersehen ist und 2 . exakt zu diesem Zweck an dieser Stelle aufgemalt wurde von der Sportstadt Köln (hahahaha!). Es wird einem jeden sturen Autoschmock eine angemessene Lehre sein, wenn ich mit meinen Atom-Schuhen und lautem Getöse auf die Motorhaube krache und mein blutüberströmtes Gesicht die Windschutzscheibe herunterquietscht und ich schließlich auf dem Zebrastreifen verblute.
»Ja, sind Sie denn blind?«, würde ich noch im Todeskampf schreien und auf die drei riesigen, blauweißen Hinweisschilder deuten: »Das hier ist ein verfickter Zebrastreifen!«, und dann würden andere Jogger anhalten, dem aufgeblasenen SLK -Fahrer die Leber herausreißen und an die fetten Stadtwaldtauben verfüttern und ich … ich bekäme eine Million Schmerzensgeld!
Kurz vor dem Zebrastreifen muss ich leider enttäuscht feststellen, dass gar kein Auto in Sichtweite ist, welches für mich nicht bremsen könnte. Und jetzt? Ich könnte noch einmal zurück, auf ein Auto warten, das für mich nicht bremsen könnte und genau dann loslaufen, dass es bremsen MUSS , wenn ich komme, aber das kann ja ewig dauern, und am Ende bremst es doch.
Ich laufe weiter, schließlich will ich ja zur Ruhe kommen und mich entspannen. Der Puls ist bei 151 , als ich endlich den Beethovenpark erreiche, und eigentlich sollte die Luft gut sein, aber irgendwie riecht es nach Plastik und Öl, vermutlich fackeln die Raffinerien im Süden wieder ein paar Tonnen hochgiftigen Schlick ab.
Ich muss an Shahin denken, wie er auf einer Welle reitet, während ihm seine beiden süßen Kinder mit dem Hund vom Strand aus zuschauen, und vermutlich kommen am Abend dann auch noch Freunde ins Haus zum Grillen, und dann wird gelacht und Wein getrunken bis spät in die Nacht und das Leben genossen. Aber irgendwann … IRGENDWANN dreht sich das Leben, es dreht sich gerade für die, denen sonst die kalifornische Sonne aus dem Arsch scheint, und dann wird Shahin einen Brief von der Baubehörde bekommen, weil sein Haus nämlich zu nahe am Strand gebaut wurde, und er wird es abreißen müssen. Seine Frau wird das Trinken anfangen vor lauter Kummer und den mexikanischen Gärtner vögeln, und der
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