Überman
und »Noch fünf!«, und dann rasten plötzlich alle aus im Studio. Gleißend helle Feuerwerksfontänen schießen vom Boden zur Studiodecke, die Musik legt los, und fünf gold-schwarze Tanzpaare wirbeln so enthusiastisch aufs Parkett, als habe man ihnen eben noch ein Kilo Amphetamin zwischen die Synapsen gepumpt. Das Publikum klatscht und johlt wie wild, und auch ich werde zum Jubeln hochgezogen von Annabelle und schaue runter zu den Tanzpaaren und bin augenblicklich sprachlos vor lauter Nacktheit: Offenbar hat RTL die Tänzerinnen gezwungen, ihre kompletten Kostüme aus einer einzigen Innenschachtel Toffifee zu basteln! Dafür sehen die Männer aus wie kolumbianische Drogenkuriere. Was für ein Trubel! Trubel, den ich nutzen kann. Unauffällig ziehe ich mein Handy aus der Hose und klicke mich zu Phils Nummer. Ich komme bis
Hi Phil,
da gibt es einen gewaltigen Knall und das Toffifee-Drogengehopse endet mit eintausend Feuerwerksfontänen, und alle setzen sich. Na, vielen Dank auch, ihr Pyro-Affen, denke ich mir, und als ich mir einen mahnenden Blick des Security-Boxers fange, stecke ich das Handy wieder ein. Ich schaue kurz zu meiner freudestrahlenden Freundin. Freut mich ja, dass sie sich freut, aber … dass es ausgerechnet Tanzen und Wein ist, was sie mag, statt
Two and a Half Men
und Bier ist natürlich auch wieder tragisch.
Wir klatschen noch immer, als der inzwischen unsichtbare Kirmes-Ansager lautstark verkündet, dass dies nicht irgendein Abend sei, sondern DER Abend des
Let’s Dance
-Jahres, das phantastische Finale der erfolgreichsten Tanzshow des ganzen Universums, und dass wir jetzt mit einem donnernden Applaus die Moderatoren des heutigen Abends begrüßen sollen, die bezaubernde Sylvie van der Vaart und den einmaligen Daniel Hartwich. Mit einem Mal wird mir klar, dass ich nicht mittendrin bin, sondern dass das alles erst anfängt. Ich winke einem der Security-Leute, er macht eine winzige Jetzt-nicht-Bewegung und ignoriert mich danach.
»Guten Abend zu einem herrlichen Abend!«, sagt Daniel Hartwich, der einen schicken grauen Lederanzug unter seiner explodierten Frisur trägt, und das blonde Käsehäppchen im schulterfreien Bonbon-Kleid fiept: »Wunderschön!«
Ich schaue unauffällig auf meine Uhr. Es ist 20 Uhr 17 . Zwanzig Uhr siebzehn! Wie lange geht das denn hier? Was, wenn Phil sein Handy ausmacht und ich ihn nicht mehr erreiche? Ich schaue nach vorne und sehe, wie Daniel Hartwich die Wertungsrichter vorstellt, die wir ja schon kennen. Nach acht Jahren ist er fertig und sagt allen, dass er sich auf einen tollen Abend an diesem Abend freut, und Sylvie van der Vaart haucht: »Wunderschön!«
»Findest du die gut?«, fragt mich Annabelle neugierig und blickt zu van der Vaart.
»Wunderschön!«, sage ich und lächle in Richtung Security-Knopfohrmann. Er lächelt kurz zurück und ignoriert mich dann wieder. Gut, denn wenn er mich ignoriert, kann ich auch simsen, denke ich mir, aber da gehen schon wieder Leuchtfontänen hoch und die stolzen Finalteilnehmer stolzieren stolz die funkelnde Show-Treppe herunter. Hartwich sagt irgendwas mit Abend an diesem Abend, was zur Hälfte im Klatschtrubel untergeht, aber es hat damit zu tun, dass beide Paare heute dreimal tanzen werden. Ob das nicht Wahnsinn sei, fragt Hartwich die Kamera. Wahnsinn, ja, denke ich mir, und Sylvie van der Vaart seufzt: »Wunderschön!«
Aus Mangel an größeren Explosionen und Leuchteffekten kann ich kurzzeitig darüber nachdenken, wie ich aus dem Studio komme, um Phil anzurufen. In Ohnmacht fallen? Zu schwul. Hustenanfall? Zu peinlich. Der Batman-Trick? Unverhältnismäßig, es würden zu viele Unschuldige sterben, und ich käme noch früher in den Knast.
Angespannt schaue ich hoch zu den Flachbildschirmen, wo ein martialischer Einspieler läuft, in dem irgendwelche Z-Promis sagen, dass es für das Paar da unten jetzt um Leben und Tod geht. Für mich auch, denke ich mir, interessiert nur keinen. Dann wechselt das Studiolicht, die Fontänen sprühen ihre Funken und eines der beiden Paare beginnt sich zu winden, als hätten sie einen Skorpion am Arsch. Sie, eine blonde Frau in den Dreißigern, zappelt wie ein sterbender Goldfisch, wobei ihr gelbes Paillettenkleid die Illusion des plötzlichen Fischtods noch verstärkt. Er, ein Dritte-Klasse-Johnny-Depp im schwarzen Glanzanzug, wirbelt, zuckt und dreht sich derart um Sinn und Verstand, dass einem schon beim Zuschauen schlecht wird.
Der Tanz ist zu Ende. Funken-Fontäne.
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