Überman
nicht mal gefragt, wann es anfängt!«
»Na ja … wann soll es anfangen, Feechen? Zum Semesterbeginn wird’s anfangen. Und das Geld hab ich nur geliehen, weil meine EC -Karte nicht ging. Außerdem war die Giraffe einverstanden.«
»Die Giraffe war einverstanden?«
»Absolut. Also, erst dachte ich, sie hat ’n Hals, aber dann hab ich mir gedacht, hey, is ’ne Giraffe, die haben immer einen Hals!«
Bisher hat Humor bei Annabelle immer gezogen. Na ja … bisher. Mitterweile sind es auch drei Adern an ihrem Hals, ich kann es aber nicht so gut sehen, weil sie hin- und herläuft.
»Hast du eine ungefähre Idee, wie sich das anhört, was du so daherblubberst?«
»Wie hört es sich an?«, frage ich unsicher.
»Nach unfassbar saudummem Blablabla-Quirl-Müll-Unsinn-Rausgerede-Scheiß!« Wütend knallt Annabelle ihre Zeitschrift auf den Tisch und verschwindet im Flur. Ich folge ihr.
»Wo willst du denn hin?«, frage ich.
»Ich muss hier raus oder mir platzt der Kopf. Du tickst doch nicht mehr richtig!«
Und dann verschwindet sie in ihrem Zimmer, mit einem lauten Rumms knallt die Tür zu. Es ist einer der Momente, die in Wirklichkeit nur zwei Sekunden dauern, einem aber wie ein komplettes Jahr vorkommen. Frühling, Sommer, Herbst und Winter, und schon weht ein steifer Wind und es schneit auf die Kacke, die da am Dampfen ist, aber irgendwie schneit es nicht genug, zu dicht ist der Dampf, weil es soviel Kacke ist. Ich klopfe an die Tür.
»Nein!«
Ich klopfe noch einmal an die Tür.
»Nein, verdammt!«
Ich öffne die Tür. Annabelle kniet vor ihrer großen bunten Tasche, die sie sich in Valencia gekauft hat, und packt entschlossen ihre Sachen. Hab ich oft gesehen im Fernsehen, dass Frauen entschlossen ihre Sachen packen, wenn sie sauer sind, und fand es immer unrealistisch. Jetzt packt meine Frau entschlossen ihre Sachen, und es sieht sehr realistisch aus.
»Liebe? Frieden?«, frage ich leise.
»Nein, Simon. Auszug. Ende!«
»Und was ist mit mir?«, frage ich, was eine gute Frage zu sein scheint, denn sie unterbricht Annabelles Packorgie, doch als sie mich anstarrt mit ihrem Frozen-Yoghurt-Gesicht, da ahne ich, dass die Frage doch wieder scheiße war.
»Was MIT DIR ist, fragst du mich allen Ernstes?«
»Vergiss es, ich … also, es tut mir leid! Bitte bleib da!«, flehe ich.
»Nenn mir einen Grund, warum ich bleiben sollte.«
»Ich?«
»Du brauchst mich nicht. Du würdest es nicht mal merken, wenn ich weg wäre.«
»Stimmt doch gar nicht!«
»Oh doch!«
»Dann geh wenigstens erst morgen!«
»Wie bitte?«
»Das ist aus dem Wutseminar, das du mir geschenkt hast. Wir könnten einen Termin machen, und dann streiten wir morgen weiter, sagen wir um sechzehn Uhr?«
»Und dann?«
»Ist alles halb so schlimm!«
»Du spinnst doch!«
»Hast DU mir geschenkt!«
Stumm schaue ich zu, wie Annabelle ihre große Reisetasche aus ihrem Zimmer rollt. Hab nie gesehen, dass sie Rollen hat, die Tasche. Als Annabelle an der Tür nach ihrer Winterjacke greift, schauen wir uns noch einmal kurz in die Augen.
»Ruf mich an, wenn du clean bist.«
»Hallo? Ich bin doch kein Junkie!«, japse ich Annabelle noch ins Treppenhaus hinterher und »Du kannst jetzt nicht gehen, nicht jetzt!«
Annabelle macht halt und schaut noch einmal nach oben. »Warum nicht jetzt?«
»Weil die Lage außer Kontrolle gerät. Ich hab’s gerade selbst gesehen. Die Anderen horten schon!«
»Mach’s gut, Simon«, antwortet Annabelle, dreht sich um, und dann geht, wie immer seit 2006 ein kleines bisschen zu früh, das Licht im Treppenhaus aus. Ich schalte es wieder ein und lausche den immer leiser werdenden Schrittgeräuschen bis zur Haustür. Klack fällt sie ins Schloss, dann ist es still um mich.
»Scheiße!« sage ich, schleppe mich ins Bad und schaue in den Spiegel. Ich seh doch nicht aus wie ein Junkie! Gut, die Augen sind was rot und groß, die Haare gekämmt wie Hitler, und meine Unterlippe zuckt alle paar Sekunden. Ich sehe aus wie ein Junkie! Nie wieder in meinem ganzen Leben werde ich auch nur eine einzige Pille schlucken!
Ich entnazifiziere meine Haare und gehe zurück in Annabelles Zimmer. Was, wenn wirklich etwas passiert am 21 . 12 ., also wenn es irgendwie brenzlig wird, weil die Lebensmittel knapp werden oder der Strom ausfällt? Es wäre die Ironie des Schicksals, dass dann ausgerechnet ich, der Macher der safeplace-Seite, ohne Freundin im Dunklen hocke. Halt. Schon wieder Gedankenfehler. Es wäre die Ironie des
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