Überman
wenigstens jemand im Knast besucht, nachdem mich das Finanzamt Köln-Nord dort eingelocht hat.
Stattdessen mache ich mir einen von Annabelles Weinen auf und das, obwohl ich Wein gar nicht mag und vor Müdigkeit nicht mal mehr das Glas halten kann. Schätze, ich will Annabelle einfach ein wenig näher sein, indem ich ihren Wein trinke mit dem gelben Punkt hinten drauf, was heißen soll, dass sogar ich ihn trinken darf, weil er nicht gelagert wird oder so. Das Seltsame ist: Dieser Wein, ein 2006 er Kanonkop aus Südafrika schmeckt sogar.
Im Fernsehen läuft eine steinalte Folge
Two and a Half Men
mit Charlie Sheen, bei der ständig alle lachen, nur ich nicht.
Jetzt also auch noch Manni. Und alles nur wegen der Kohle. Vielleicht sollte ich nicht nur offen und ehrlich meine private Insolvenz erklären, sondern meinen sozialen Bankrott gleich noch dazu. Ich müsste lediglich erklären, dass ich viel zu lange über meine Verhältnisse gezetert und beleidigt habe, und vielleicht würde man mir ja dann einen Teil der Freunde lassen, sagen wir so fünfzig Prozent, und ich könnte mit weniger Freunden neu anfangen, mit Annabelle und Paula zum Beispiel. Dann würde ich zwar mit schmaler Geldbörse, aber erhobenen Hauptes zum am wenigsten schlechten Bäcker in unserem Viertel gehen, der bräsigen Angestellten in die Augen schauen und sagen: »Nur zwei Brötchen vom Vortag bitte, denn ich hab wenig Geld zurzeit, aber ein Brötchen ist für meine Freundin Annabelle, und das backe ich mit ein bisschen Wasser auf, und dann schmeckt es wie von heute!«
Und während sich die Fernsehzuschauer über einen offenbar unfassbar lustigen Gag von Charlie Sheen kaputtlachen, rolle ich mich in Annabelles Fernsehdecke ein wie Evil La Boum in seinem Körbchen, winsele »Ach Feechen …« und weine durch bis zum nächsten Werbeblock.
Als ich schließlich aufstehe, um ein Glas Wasser zu trinken, sehe ich, dass es nicht der nächste Werbeblock war, sondern der überüberübernächste – zum ersten Mal seit mich Jessica in der sechsten Klasse nicht geküsst hat, weil ich eine Zahnspange trug, bin ich kläglich winselnd eingeschlafen.
Ich gehe zum Fenster und schaue über die friedlich vor sich hinschlummernde Stadt. Ein Anblick, der mich nachdenklich stimmt. Was soll das blöde Gerenne um das liebe Geld? Verliert man nicht mehr, als man gewinnt?
Ich suche mein Portemonnaie und ziehe die Visitenkarte des McDonald’s-Restaurantleiters heraus. Ein Rudolf de Santo inklusive Mailadresse und gleich zwei Rufnummern. Was soll denn das heimliche Getue um diese eine blöde Getränkefrage? Entweder sie machen’s oder sie machen’s nicht.
Beruhigend untermalt das Tuten den Blick über das nächtliche Köln. Dann die Mailbox. Ich spreche Herrn de Santo meine komplette Bestellrevolution auf Band und wünsche noch einen schönen Tag. Hätte ich das auch aus dem Kopf.
Ich nehme all meinen Mut zusammen und klicke auf den Film in Mannis Mailanhang. Sie wurde abgeschickt zu einer Zeit, in der ich noch Hoffnung hatte, dass sich alles regelt: gestern, um 23 Uhr 02 .
Der Film startet mit einer seitlichen Einstellung auf unsere Bürouhr, die fünf vor zwölf zeigt, darüber hat Manni fett-chorale Endzeit-Musik gepackt. Nahaufnahme der Eisentür des Eifeler Atombunkers, wie sie sich geheimnisvoll öffnet, dann Schnitt auf die Hotel-Rezeption. Den Pullman-Schriftzug hat Manni durch Safeplace™ ersetzt. Bemerkenswert, wie naiv unser Gehirn ist: Was immer man im Film hinter eine Tür schneidet, es ist in jedem Fall dahinter. Es folgen meine dank Phils Pillen leicht verwaschenen Handy-Aufnahmen vom Hotelzimmer, die sich abwechseln mit den eher technisch-kühlen Bildern aus dem Atombunker, darüber die ganze Zeit wehklagende Weltuntergangs-Mucke. Auf die großen Luftfilter folgt das kuschelige Hotelbett (gut gemogelt), auf die Dieselgeneratoren die freundlichen Barkeeper, und dann meine ich die Waschmaschinen im Waschsalon neben unserem Büro zu erkennen. Scheiße, denke ich mir, Manni hat sich da wirklich reingehängt und ich …
Ich zünde mir eine weitere Zigarette an, schenke mir ein Glas Wein nach und lese die bildschirmfüllenden Schrifteinblendungen auf Schwarz:
VIELE HABEN ES PROPHEZEIT
DIE MAYAS, DIE BIBEL, PROPHETEN UND LALA
IMMER SCHNELLER ÜBERSCHLAGEN SICH DIE EREIGNISSE
DIE UNS IN DIE SICHERE KATASTROPHE FÜHREN
Die Musik wird dramatischer, nur einzelne Wörter sind zu lesen, die immer schneller eingeblendet
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