Überman
weise Pläne hat. Und weil er durch kluge Entscheidungen die notwendigen Schalthebel so justiert hat, dass er in den verbleibenden fünfzehn Wachblöcken ein besserer Mensch nicht werden kann, ist er auch beruhigt.
Er ist entspannt und beschwingt, wie ein Familienvater vor den großen Ferien, wenn er am frühen Morgen in einem feinen Anzug vor seinem Automobil die abenteuerlustige Familie erwartet. Er ist wohlgemut, weil er alles getan hat, um seine geliebte Familie sicher ans Ziel zu bringen: er hat den Reifendruck überprüft, die Bremsen und den Ölstand. Er hat frische Sandwiches besorgt und Orangensaft, er hat sogar die Kühlbox überprüft. Und jetzt geht es los. Wohin es geht, das wird er nicht verraten, aber ist es nötig? Der forsche Aufbruch erst gibt den Blick frei für das eigentliche Ziel.
Wenn Dir, geliebte Annabelle, nun diverse Orte durch deinen süßen Kopf schießen, so lass Dir sagen, dass das Ziel kein Ort ist. Es ist eher so, dass der Ort zum Ziel führt. Mehr kann ich Dir derzeit leider nicht verraten, denn würde meine Überraschung vorlaut herausposaunt, es wäre alles verloren. Ich bitte Dich daher von Herzen bereit zu sein und wenn am Donnerstag, den 20 . 12 . bei »Mieten, Wohnen, Kaufen« die erste Werbepause beginnt*, dann verlass den Feenbau und folge den Kreide-Magnetrindern auf der Straße. Sie führen Dich zu mir, Deinen Freunden und in Sicherheit.
Mach Dir keine Gedanken um mich, liebste Annabelle, denn ich hab alles, was ich brauche: Kontrolle über mich, einen Plan, damit sich alles zum Besseren wendet, und die Entschlossenheit, diesen auch auszuführen.
Es grüßt Dich, in Liebe und bei klarstem Verstand,
Dein Schnuppes
* Das ist circa 18 Uhr 15 in der Zeit der Anderen, minus 1 Wachblock vor der Übernacht (Überman-Zeit).
Behutsam falte ich den Bogen und streichle die Rinder. Dann steige ich über den Zaun und gehe durch den Wald Richtung Sülz.
Entschlossen fallen meine Worte in den kühlen Blechschlund der WG . ›Klackediklack‹ lobt mich die Blende. Lächelnd und leicht wie nie federe ich nach Hause. Ist es nicht ein wahrhaft prächtiges Gefühl zu wissen, dass man alles richtig macht?
Kellerwurm
Noch 14 Wachblöcke
Weil alle immer den Wurm sehen wollen, ist das blaue Mützchen das Einzige, was unter der dicken blauen Decke des Kinderwagens hervorschaut. Ein letztes Mal prüfe ich, ob nicht doch irgendetwas Verdächtiges zu erkennen ist, dann wuchte ich den Kinderwagen die Eingangsrampe des Weinkellers hoch.
Wer mich in diesem Augenblick beobachtet, muss denken, dass ich ein wirklich verdammt fettes Baby habe. Vielleicht war es ja auch nicht die beste Idee, beim Ausrüsten des Kellers ausgerechnet mit dem Stromerzeuger und zwei Zehnliter-Kanistern Benzin anzufangen. Müde bin ich auch, trotz zweier optimaler Nickerchen und obwohl ich die rote Pille genommen habe. Muss dringend Parisi anrufen und fragen, ob das so bleibt, denn wie soll ich große Dinge leisten, wenn ich mich ständig fühle, wie nach einem Australien-Flug in der Economy?
Vorsichtig rolle ich den Wurmwagen in den Delikatess- und Kassenraum, von dem auch der Lastenaufzug abgeht. Hab ihn überladen, glaube ich, vermutlich wiegen Babys weniger als dreißig Kilo insgesamt, woher sollte ich’s aber wissen? Eine Verkäuferin lächelt mir zu, ich lächle zurück. Vielleicht hätte ich mir eine Sekunde lang überlegen sollen, was ich in einem solchen Augenblick sage. Hab ich nicht. Also sage ich: »Kann ich den Wurm mit runternehmen? Ich bin alleinerziehender Alkoholiker.«
Es funktioniert. Die Dame lacht schallend und hält mir sogar die Tür des Lastenaufzugs auf. »Kann ich mal sehen?«
»Schläft!«
Als mich der parkplatzgroße Lastenaufzug langsam nach unten schaukelt, mache ich ein Foto vom Bedienelement. Dreitausend Kilo schafft er. Was wiegt ein Rind? Man weiß es nicht. Bin längst angekommen, merk ich plötzlich, und noch während ich schaue, ob mit meinem Wurmwagen alles in Ordnung ist, macht mir ein älterer Herr die Tür auf. Neugierig beugt er sich zu mir und spitzt die Lippen.
»Na-?«
Ich fahre einfach an ihm vorbei.
»Schläft!«
Langsam rolle ich den Wurmwagen über den Betonstreifen, passiere die große Glastrennwand und die Servicetheke und biege rechts ab in den sensationell uneinsehbaren Bordeauxbereich. Auf einer Länge von gut und gerne zwanzig Metern stapeln sich die Weinkisten bis über den Kopf.
Leider bin ich nicht alleine: Ein schlechtgelauntes
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