Uebermorgen Sonnenschein - Als mein Baby vertauscht wurde
sich heimlich über eine verspätete Rache freut. Gleichzeitig zitterte ich bei dem bloßen Gedanken, dass es tatsächlich eine Verwechslung gegeben hatte. Ich klammerte mich an die Hoffnung, dass es nur ein Zufall sein möge, dass ich damals diese Zweifel gehabt hatte und dass meine Leni auch meine Leni bleiben durfte. Ich schwamm in einem Wechselbad der Gefühle. Dabei versuchte ich natürlich, mich Leni gegenüber so unaufgeregt wie möglich zu verhalten, ich wollte die Kleine nicht beunruhigen. Tief in meinem Innern allerdings bereitete ich mich auf das Schlimmste vor.
Auf einmal kam mir die »zugedröhnte« Teenagermutter in den Sinn. Ich malte mir aus, dass sie die andere Mutter sein würde, und sah schon die fürchterlichsten Bilder vor mir: Ein mit Drogen vollgepumptes Mädchen in einer dunklen, versifften Wohnung, das auf einer abgewetzten Couch vor sich hinvegetierte, und irgendwo in einer Ecke lag mein leibliches Kind, verwahrlost, kotverschmiert, wimmernd, unterernährt, vielleicht sogar misshandelt oder missbraucht von irgendwelchen Freiern. Ich drehte fast durch. Diese Gedanken waren nicht auszuhalten. Ich musste mit dieser Selbstquälerei sofort aufhören.
Ich fütterte Leni und wickelte sie, so, als sei nichts Besonderes an diesem Tag geschehen. Danach spielte ich mit ihr und zauberte ihr wie mir beim Guck-guck-Machen ein Lachen auf die Lippen.
Danach bei einem Cappuccino, den mir Ralf brachte, horchte ich noch einmal in mich hinein. Und jetzt fühlte ich, dass ich nicht bereit sein würde, Leni herzugeben. Noch stärker als dieses Gefühl nahm ich aber auch die Sehnsucht in mir wahr nach meinem leiblichen Kind. Ich wollte es bei mir haben und beschützen.
So gerne hätte ich auf der Stelle Klarheit gehabt. Wie sollte ich eine Woche lang mit dieser Ungewissheit leben? Diese Vorstellung machte mich schier wahnsinnig. Dann kam ich auf die Idee, ein Foto von der inzwischen schlafenden Leni zu machen. Ich druckte das Bild aus und kramte ein paar Fotos hervor, die Ralf unmittelbar nach der Geburt geschossen hatte. Lange betrachtete ich die Gesichter, kam allerdings nur zu einem unbefriedigenden Ergebnis: »Die Babys sahen schon unterschiedlich aus – aber es konnte auch an der Aufnahme und der natürlichen Entwicklung des Kindes liegen.« Es war ein Hin und ein Her, wie damals im Krankenhaus. Einfach nur quälend.
Als am Abend Ricarda kam, fiel ich meiner besten Freundin in die Arme. Ich erzählte ihr alles bis ins Detail, auch was mir so im Kopf herumspukte, meine Stimme überschlug sich fast dabei. Immer wieder wischte ich den Küchentresen ab, nur um etwas zu tun und meiner Nervosität entgegenwirken zu können. Dann zeigte ich Ricarda die Babyfotos und fragte sie nach ihrer Meinung. Allerdings war ich gar nicht in der Lage, ihr richtig zuzuhören, so aufgewühlt war ich.
»Ich kann Leni doch jetzt nicht mehr hergeben«, sagte ich schließlich mit entkräfteter Stimme. Ricarda schüttelte den Kopf, immer noch fassungslos über die Nachricht. »Nein, das ist wirklich unvorstellbar. Aber jetzt warte erst einmal ab. Es wird schon alles gut werden.«
Es war wie ein ewig gleiches Mantra, das von allen wiederholt wurde.
»Aber ich bin jetzt die ganze Woche hier zu Hause, Ralf muss arbeiten gehen. Ich werde wahnsinnig, wenn ich hier mit Leni allein den ganzen Tag warten soll.«
»Ach, Jeannine, wir lassen dich schon nicht alleine. Wir schauen, dass immer jemand da ist. Und dann kriegst du die Zeit schon rum«, beteuerte Ricarda.
Sie nahm aus Yaras Spielecke ein Blatt und einen Stift und fing an, einen Stundenplan zu entwerfen für die komplette Woche. Als Lehrerin wusste sie eben, wie man etwas am besten organisierte. Auch bei Geburtstags- oder sonstigen Feiern im Freundeskreis schreibt Ricarda ganze Blöcke mit allen möglichen Einzelheiten voll, wer was wann macht oder bekommt und oder zu besorgen, kochen, backen, basteln, schmücken, dichten, singen, spielen oder was auch immer hat.
»Wen erträgst du gut, wen weniger gut?«, fragte sie mich ganz pragmatisch. Dann rief sie nacheinander alle Gut-Erträglichen an und besprach mit ihnen die möglichen Zeitfenster. Meine Angst vorm Alleinsein hatte Ricarda damit weggezaubert, und ich wusste, dass ich mich hundertprozentig auf alle verlassen konnte.
Am Abend saßen Ralf und ich völlig erschöpft auf der Couch, als das Telefon abermals läutete.
Ich erkannte die Nummer meiner Schwester, sicher hatte sie von meiner Mutter erfahren, was los war,
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