Uebermorgen Sonnenschein - Als mein Baby vertauscht wurde
dem vierzigsten Geburtstag meiner Schwester. Allein schon, dass er mich »Nina« nannte, so wie es meine Eltern und Michaela tun, gab mir sofort ein Gefühl von Geborgenheit.
Michael war mindestens so schnell wie die Feuerwehr – kurz nach unserem Telefonat stand er schon vor unserer Tür. Er ist groß, schlank, hat dunkle, gewellte Haare und ist nur ein paar Jahre älter als ich. Er ist der Traum aller Schwiegermütter. Und Mütter … zumindest meine war vom ersten Moment des Kennenlernens an begeistert von ihm. Er ist durch und durch Christ, und ausgebildeter Sänger ist er auch noch. Ich war sogar schon mal auf einem Konzert von ihm und ganz angetan von seiner warmen Stimme.
Michael erzählte mir erst einmal, was er bislang, aus den Medien, über den Fall wusste. Die andere Mutter hatte bereits im November erfahren, dass sie nicht die leibliche Mutter ihres Babys sein konnte. Die ganze Sache wurde durch einen Unterhaltsstreit und einen damit verbundenen Vaterschaftstest aufgewirbelt. Nachdem herauskam, dass der Vater doch nicht der Vater des Kindes war, ließ sich die Mutter auch testen. Das Ergebnis ergab das Ungeheuerliche: dass auch sie nicht die leibliche Mutter des Kindes war! Die einzig schlüssige Erklärung dafür konnte nur sein, dass die Kinder im Krankenhaus vertauscht worden waren. Ab diesem Moment wurde fieberhaft nach den biologischen Eltern des Kindes gesucht.
Während Michael mir das alles erzählte, bereitete ich mich wieder einmal auf das Schlimmste vor. Intuitiv überkam mich das Gefühl, dass die andere Mutter sehr jung sein musste. Wäre sie in meinem Alter gewesen, hätte sie doch bestimmt, genauso wie ich, schon im Krankenhaus Zweifel gehabt, ob das Baby wirklich ihres ist. Wahrscheinlich hatte sie ihr Kind gar nicht richtig wahrgenommen, dachte ich mir.
In diesem Moment sah ich wieder die völlig fertige Teenagermutter vor mir. Bloß nicht die, bitte! , flehte ich stumm.
»Kennst du die andere Mutter?«, fragte ich Michael nervös. Mir war klar, dass er zum Schweigen verpflichtet war. Dennoch musste ich es wissen.
»Ich habe die andere Familie noch nicht gesehen«, fing er an. »Ich darf auch nichts sagen, aber soweit ich informiert bin, geht es dem Kind gut. Leg diese Sorgen erst einmal beiseite. Erzähl doch mal, wie ist es dir denn ergangen?«
Und dann sprudelte es nur so aus mir heraus, und es dauerte auch nicht lange, bis ich wie ein Schlosshund heulte. Ich spürte geradezu körperlich, wie ein Gewicht von mir abfiel und dass es die richtige Entscheidung gewesen war, mich einem Psychologen anzuvertrauen.
Irgendwann kamen wir auf Ann-Kathrin zu sprechen. »Diese Doppeltragik in eurer Familie … unfassbar«, meinte Michael.
»Wenn es einer packt, dann Ann-Kathrin«, antwortete ich bestimmt. »Die hat ein Durchsetzungsvermögen, das glaubst du gar nicht!«
Michael fragte mich, wie es mit meinem Glauben stand und ob ich daraus eventuell einen Halt ziehen könnte.
»Ich glaube schon an Gott«, gab ich zur Antwort. »Manchmal schicke ich auch Stoßgebete gen Himmel wie: ’Lieber Gott, mach, dass jetzt alles wieder gut wird!’ Aber eine wirklich große Stütze ist das nicht.«
»Vielleicht findest du ja einen inneren Satz, der dir helfen könnte, die Situation so anzunehmen, wie sie ist«, schlug Michael vor. Er versuchte, mich so gut es ging zu stabilisieren, auch mit Übungen aus der Traumatherapie. Immer wieder ging es um »Erdung« und darum, nicht mehr zu hadern, vor allem im Hinblick auf das, was in der Klinik passiert war, sondern in der Gegenwart zu sein, im Hier und Jetzt.
In diesem Moment war ich für vieles empfänglich, was mir Halt zu geben versprach. Wir sprachen noch über Möglichkeiten, wie ich zur Ruhe kommen könnte. Michael riet mir, entspannende Musik zu hören oder autogenes Training zu machen. Meine Anspannung war allerdings viel zu groß, um mich auf so etwas überhaupt einlassen zu können. So suchten wir nach Alternativen.
Nach fünf Stunden intensiven Gesprächs verabschiedete sich Michael mit den Worten, dass ich ihn zu jeder Tages- und Nachtzeit anrufen könne.
Auf sein Angebot kam ich dann noch zurück. Ich rief ihn nicht nur spätabends an, es gab Tage, da sahen wir uns sogar zweimal. Ich fühlte mich von Michael verstanden und konnte so manche Sorge, die ich hatte, an ihn abgeben. Immer wieder durfte ich ihm von meinen Ängsten erzählen, und meine Gedanken sprangen dabei meist kreuz und quer.
Ich hätte mir auch gewünscht, mit den anderen
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